Das Vermächtnis

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Heinrich Böll schrieb im Jahr 1948 seinen Nachkriegsroman „Das Vermächtnis“. Dieser Briefroman wird aus der Sicht des Protagonisten Wenk erzählt und handelt von der Ermordung seines Freundes Schelling im Zweiten Weltkrieg.

Inhalt und Figurenkonstellation[Bearbeiten]

Wenk sitzt nach Kriegsende in einem Café und sieht dort seinen früheren Hauptmann Schnecker, der gerade seine Promotion zum Dr. jur. feiert. Daraufhin erinnert sich Wenk an seine Zeit in der Armee im Zweiten Weltkrieg. Er beginnt infolge der Begegnung einen Brief an den Bruder seines Kameraden Schelling zu schreiben. Schelling war, ebenso wie Schnecker, Offizier in dem Bataillon, zu dem Wenk gehörte. Er gilt seit Ende des Zweiten Weltkriegs als vermisst. Gleich zu Beginn seines Briefes eröffnet Wenk Schellings Bruder, dass jener tot sei. Daraufhin erzählt er ihm von seiner Zeit mit Schelling. Wenk wird im Sommer 1943 in die Normandie versetzt. Er soll dort als Melder für Oberleutnant Schelling arbeiten, den er von Anfang an schätzt. Schelling und Schnecker sind eigentlich Jugendfreunde, allerdings ist ihr Verhältnis etwas angespannt. Auch Wenk steht Schnecker reserviert gegenüber. In der Normandie herrscht bei den Soldaten zu dieser Zeit Langeweile vor. Sie haben Stützpunkte am Strand, die sie gegen mögliche Angriffe der englischen oder US- Armee sichern sollen. Angriffe bleiben allerdings aus, und so leisten die Soldaten aus Wenks Sicht einen unsinnigen Dienst. Hinzu kommt, dass die Versorgung mit Nahrung sehr schlecht ist. Dieser Umstand demoralisiert Wenk zusätzlich. Er freundet sich eng mit Oberleutnant Schelling an. Die beiden führen viele Gespräche und machen so gemeinsam das Beste aus ihrem Aufenthalt in der Normandie. Mit Hauptmann Schnecker geraten beide schon hier mehrmals aneinander. Während dieser Zeit geht Wenk häufig in die nahe gelegenen Kneipen. In einer dieser Gaststätten arbeitet ein Mädchen, Madeleine, in das er sich verliebt. Als er sie an einem Abend aufsucht, findet er heraus, dass sie ein Verhältnis mit Schelling hat. Schelling bemerkt, dass Wenk ihn und Madeleine beobachtet. Beide sehen das Mädchen nie wieder, denn kurz darauf wird die Truppe nach Russland befohlen. Hier lernt Wenk den Krieg kurz vor Ende doch noch kennen. Er und Schelling kämpfen Seite an Seite. Nach acht Tagen an der Front und nachdem unter Schellings Anweisungen die Russen einmal in die Flucht geschlagen wurden, gibt es Meldung, dass das Bataillon abgelöst würde. Als sie die Front verlassen, hat die Truppe sich fast um die Hälfte reduziert. Sie ziehen sich in ein verlassenes Dorf zurück. Abends haben Schelling und Schnecker einen Streit, da Schelling ohne Zustimmung des Hauptmanns Dienstfreiheit angeordnet hat. Wenk wird Zeuge der Auseinandersetzung. Schnecker sagt am Ende des Streites, dass es noch ein Fest geben solle, das ihm selbst und Schelling zu Ehren veranstaltet wird. Schelling und Wenk beschließen, hinzugehen. Schon auf dem Weg zum Fest sehen beide einen jungen Leutnant, Piester, der so betrunken ist, dass er sich übergeben muss. Dieser berichtet in seinem Rausch, dass er von Hauptmann Schnecker zum Weitertrinken gezwungen worden sei. Er prophezeit, dass der Abend in einer Katastrophe enden werde. Wenk und Schelling bringen den Betrunkenen in sein Zimmer. Als sie daraufhin im Festsaal eintreffen, sehen sie Schnecker dort mit einem Artillerieoffizier und dem Bataillonsarzt mit seiner Freundin. Schnecker ist offensichtlich schon sehr betrunken und wütend, da kein Schnaps mehr da ist. Plötzlich läuft er zur Tür und ruft frustriert Alarm aus. Wenk und Schelling schlagen sich mit ihm, Schelling sagt ihm, er solle ruhig sein, damit die Soldaten wenigstens einmal schlafen könnten. Als der Hauptmann weiter schreit, schlägt Schelling ihm ins Gesicht. Daraufhin zieht Schnecker seine Pistole und schießt Schelling in den Kopf. Dieser ist sofort tot. Im selben Moment hört man die Panzer anrollen: Die Russen greifen das Dorf an. Wenk kann fliehen und hält sich für den einzigen Überlebenden des Angriffs, bis er Schnecker im Café wiedersieht. Wenk beendet den Brief, indem er Schellings Bruder mitteilt, dass die Wahrheit nun in dessen Händen liege.

Form des Romans[Bearbeiten]

Der Briefroman „Das Vermächtnis“ entstand in der Nachkriegszeit im Jahr 1948. Er besteht aus einem einzigen langen Brief. Die Erzählinstanz des Briefes ist Wenk, der Protagonist. Es liegt also eine subjektive Erzählform vor.(1) Diese Erzählform ist in dieser Zeit besonders, denn sie ermöglicht dem Autor, seine eigene Sichtweise durch den Protagonisten auszudrücken. Dies ist in diesem Briefroman bedeutend, weil dadurch viele Parallelen zwischen dem Autor und seiner eigenen Geschichte und dem Protagonisten Wenk gezogen werden können. Der Roman beginnt und schließt mit dem Brief, womit Wenk auch einzige Erzählinstanz bleibt. Ein Antwortbrief liegt dem Leser nicht vor. Eine erzählerische Besonderheit ist die „Rückblende aus der Rahmensituation einer Gegenwartshandlung“(2). Diese zeigt sich schon direkt am Anfang des Briefromans, als Wenk aus sich aus der Gegenwartssituation heraus zurückerinnert an die Zeit in der Armee. Interessant ist außerdem die häufige Nutzung von Anführungszeichen zur „Abtönung“ von Wörtern, um Begriffe zu relativieren(3).


Interpretationsaspekte[Bearbeiten]

1) Da Böll selbst den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat, liegt die Vermutung nahe, dass „Das Vermächtnis“ autobiographische Züge enthalten könnte. Böll selbst hat den Zweiten Weltkrieg von Anfang an als Soldat miterlebt und, genau wie der Protagonist Wenk, so wenig wie möglich aktiv teilgenommen. Böll selbst verbrachte die meiste Zeit im Lazarett mit Krankheiten, die oftmals simuliert waren. Eine weitere Parallele zu seinem Protagonisten ist Bölls eigene Stationierung in Frankreich, die auch von Langeweile, Hunger und dem Mangel an Tabak und Alkohol geprägt war. Zudem wurde Böll ebenfalls zum Ende des Krieges hin, im Herbst 1943, an die Ostfront versetzt.(4)

2) Böll selbst beschreibt das Soldatenleben in seinem Werk als sinnlos, was seiner antimilitaristischen Haltung entspringen mag.(5)

3) Interessant zu betrachten ist zudem Bölls Erzählperspektive. Er hat als Protagonisten keinen Offizier gewählt, sondern einen einfachen Wehrmachtssoldaten. Durch diese „Wurmperspektive"(6) wird für den Leser ein Gefühl von Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit erzeugt. Auffällig ist zudem, dass bei Schilderungen von Kriegshandlungen immer die Protagonisten angegriffen werden. Die Protagonisten selbst greifen nicht an, höchstens zur Gegenwehr, und werden somit als Opfer und nicht als Täter dargestellt.(7) Die subjektive Erzählform ermöglicht dem Autor, seine eigene Meinung durch den Protagonisten auszudrücken.(8) Diese Erzählperspektive ermöglicht ihm außerdem, das Geschehen genau zu beschreiben und auch aus der Position des Beobachters zu schildern.(9)

4) „Das Vermächtnis“ gehört zu der konventionellen Gruppe von deutschen Kriegsromanen, die das „moralische Dilemma“ der ehrlichen Wehrmachtsoffiziere in den Vordergrund stellen.“(10) Oberleutnant Schelling ist die Zentralfigur des Romans und wird als human, gebildet und erfolgreich beschrieben. Er befindet sich in einem Dilemma: Einerseits ist er als Soldat pflichtbewusst, andererseits hegt er eine Antipathie gegen Hitler. Diese wird im Roman dadurch untermalt, dass er das Hitlerbild in seinem Büro zur Wand dreht. Außerdem äußert er Wenk gegenüber, dass er sich nicht sicher ist, wem er den Sieg wünscht.(11)

5) Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass es Schnecker mühelos zu gelingen scheint, nach dem Krieg seine Verbrechen hinter sich zu lassen und ein geordnetes neues Leben zu beginnen. Er meistert sein Leben als Opportunist, was den Eindruck vermittelt, dass der Autor durch diesen Ausgang Kritik an den Mechanismen von Verschweigen und Verdrängen in der Nachkriegszeit übt.(12)

6) Auch Wortspiele prägen Bölls Roman. Zwischen Schelling und Schnecker bricht ein Streit aus, in dem Schnecker Schelling daran erinnert, dass er schon einmal, als er sich für genauere Rationierung der Nahrung der Soldaten einsetzte, Ärger mit seinem Vorgesetzten hatte. Dies drückt er mit dem Satz „Du bist immer noch stark in Grammatik, wie es scheint“ (S.95) aus. Er verweist damit auf die Genauigkeit in der Rationierung, bis aufs Gramm, die Schelling gefordert hatte. Schelling entgegnet daraufhin, dass das Gramm etwas sei, das als einzelnes nicht viel bewirke, aber in der Masse einen großen Unterschied machen könne.(13) Durch dieses Wortspiel wird Schellings Einstellung verdeutlicht. Er ist der Meinung, dass es auf jeden einzelnen, auch in einer großen Gruppe ankommt, da man gemeinsam viel bewirken kann. Dass er sich für eine so genaue Rationierung der Nahrung einsetzt zeigt außerdem seinen enormen Sinn für Gerechtigkeit.


Rezeption[Bearbeiten]

Die „Neue Züricher Zeitung“ schrieb zu Heinrich Bölls „Vermächtnis“, es ist sei „eine Geschichte aus dem Krieg; ein Konflikt unter deutschen Soldaten, worin sich Historisches mit Persönlichem überzeugend mischt“. Außerdem schrieb Joachim Kaiser für die „Süddeutsche Zeitung“, man spüre, „dass in den Beschreibungen des realen Kriegsentsetzens eine noch fürchterlich frische Betroffenheit vibriert“. Zudem findet er: „Böll meistert sie“. Böll hat in diesem Roman „deutlich seine Sprache gefunden“,- meint Bernd Balzer in seinem Werk „Das literarische Werk Heinrich Bölls“.


Ausgaben[Bearbeiten]

Böll, Heinrich: Das Vermächtnis, Erzählung, Lamuv Verlag, Bornheim-Merten 1982 Böll, Heinrich: Das Vermächtnis, Erzählung, Insel, Leipzig 1984 Böll, Heinrich: Das Vermächtnis, Erzählung, Deutscher Taschenbuchverlag, München 2002


Sekundärliteratur[Bearbeiten]

Balzer, Bernd (1997): Das literarische Werk Heinrich Bölls: Einführung und Kommentare, Deutscher Taschenbuch Verlag, München Bellmann, Werner (1995): Das literarische Schaffen Heinrich Bölls in den ersten Nachkriegsjahren, Ein Überblick auf der Grundlage des Nachlasses, In: Bellmann, Werner (Hrsg.): Das Werk Heinrich Bölls. Bibliographie mit Studien zum Frühwerk: Westdeutscher Verlag, Opladen Bernáth, Árpád (1982) Das „Ur-Böll-Werk“, Über Heinrich Bölls schriftstellerische Anfänge, In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Heinrich Böll: Text + Kritik (Heft 33), München Busse, Karl Heiner (1992): Zu wahr, um schön zu sein, Frühe Publikationen in: Balzer, Bernd (Hrsg.): Heinrich Böll 1917–1985 zum 75. Geburtstag: Peter Lang AG, Bern Reid, James H. (1991): Heinrich Böll : ein Zeuge seiner Zeit – Dt. Erstausg., 1. Aufl. – München: Dt. Taschenbuch-Verlag Serrer, Michael (1998): Das Sakrament des Büffels : zum Umgang mit dem Nationalsozialismus im Frühwerk Heinrich Bölls In: Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust, Campus- Verlag, Frankfurt/ Main von Wilpert, Gero (2004): Lexikon der Weltliteratur, Deutsche Autoren A – Z, Stuttgart

Weblinks[Bearbeiten]

[1]http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14345361.html

[2]http://www.zeit.de/2003/02/L-B_9all

[3]http://www.dtv.de/buecher/das_vermaechtnis_13017.html

Einzelnachweise[Bearbeiten]

Der Roman wird im fortlaufenden Text unter Angabe der Seitenzahl zitiert nach: Böll, Heinrich: Das Vermächtnis, Erzählung, Ungekürzte Ausgabe, Deutscher Taschenbuchverlag, München 2002, 6. Auflage


(1) Balzer, Bernd: Das literarische Werk Heinrich Bölls, Einführung und Kommentare, München, 1997, S.80.
(2)Ebd., S.79.
(3) Ebd., S.85.
(4) Reid, J.H.: „Mein eigentliches Gebiet…“, Heinrich Bölls Kriegsliteratur, in: Von Böll bis Buchheim, Deutsche Kriegsprosa nach 1945, München, 1991, S.95.
(5) Ebd.: S.94.
(6) Ebd., S.94.
(7) Ebd., S.94.
(8) Balzer, Bernd: Das literarische Werk Heinrich Bölls, Einführung und Kommentare, München, 1997, S.83.
(9) Ebd., S.82.
(10) Ebd., S.107.
(11) Ebd., S. 107.
(12) Ebd., S. 108.
(13) Balzer, Bernd: Das literarische Werk Heinrich Bölls, Einführung und Kommentare, München, 1997, S.84.

Wiebke Malin Ledwinka