„Von Paul zu Pedro“

Aus briefromane
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Franziska zu Reventlows Briefroman Von Paul zu Pedro. Amouresken aus dem Jahr 1912 setzt sich aus Briefen einer weiblichen Briefeschreiberin zusammen, die einem Mann, den sie mit Doktor anredet, von ihren verschiedenen Männerbekanntschaften schreibt, während sie selbst auf Reisen ist. Die Schreiberin ist eine „wurzellose[] Existenz[]“ (S. 87) (1), welche die Ziellosigkeit ihrer Lebensform als ideal betrachtet.

Inhalt und Figurenkonstellation[Bearbeiten]

Zunächst gibt es keine eigentlich Romanhandlung, stattdessen erläutert die Schreiberin ausführlich ihre Sicht auf weibliche Erotik und Partnerschaftskonzepte. Dabei lesen sich ihre Briefe als Plädoyer für ein ungebundenes, selbstbestimmtes Leben, bei dem Frauen wie Männer ihre Sexualität frei ausleben sollten. Bürgerliche Konzepte wie Ehe, Monogamie, Ortsgebundenheit und Berufstätigkeit werden ebenso abgelehnt wie die Bigotterie der zeitgenössischen Gesellschaft. Gemeint ist damit die Reflexion der herrschenden Doppelmoral, der sie als Frau in besonderer Weise unterworfen ist. Um die geschlechtlichen Vorurteile ihrer Zeit zu entlarven, lässt Reventlow ihre Erzählerin Männer in ein Tableau von Typen kategorisieren, die alle als Objekte weiblichen Begehrens fungieren. So zeigt sich, dass die beiden titelgebenden Namen keine Individuen, sondern Männertypen darstellen: „Paul“ (S. 16) ist der leichte Urlaubsflirt, „Pedro“ (S. 62) hingegen der leidenschaftliche Mann. Die Problematik bürgerlicher heterosexueller Erotik erläutert die Schreiberin anhand dieser Typen, zu denen auch jener Typus des „Retter[s]“ (S. 22) gehört, der die Möglichkeit eines erotischen Freiheitsdrangs von Frauen nicht denken kann und daher jedem weiblichen sexuellen Agieren „eine ethische Weihe zu verleihen“ (S. 24) sucht. An dem Retter-Typus zeigt Reventlows Schreiberin, wie hartnäckig das kulturelle Narrativ von der grundsätzlichen Anständigkeit und dem vermeintlich in erotischen Zusammenhängen innewohnenden ‚natürlichen‘ Tiefsinn von Frauen in der Gesellschaft nachwirkt. Dagegen stellt die Schreiberin schon im ersten Brief klar, dass sie sich nicht nach konventionalisierten Vorstellungen richtet, wenn sie ihre Beteiligung an einem Ehebruch ironisch kommentiert: „ich kann doch nichts dafür, daß alle möglichen Leute Frauen und Kinder haben“ (S. 12). Der Typus des Retters hält jedoch „[t]rotz der schlagendsten Gegenbeweise“ (ebd.) an dem „Dogma von der monogamen Veranlagung der Frau“ (S. 24) fest. Dem setzt die Schreiberin entgegen, dass sie aus eigener Erfahrung weiß, dass Erotik unabhängig von Liebe auch für Frauen existiert und gelebt wird (und werden darf). Doch lässt sich Erotik aus ihrer Sicht nicht monogam leben, weil der Reiz eines „Abenteuer[s]“ (S. 12) schnell umschlägt in Langeweile (vgl. Reventlow 12-13). Ein weiterer Männertypus findet sich in der „elegante[n] Begleitdogge“ (S. 34), an den die Frau außer seinem sehr guten Aussehen keinerlei emotionale Erwartungen knüpft, mit dem sie sich schmückt und den sie sogar Freundinnen, die für gesellschaftliche Anlässe eine männliche Begleitung benötigen, ausleiht. Damit lehnt die Schreiberin auch das romantische Liebeskonzept ab, das die Exklusivität und vor allem die innere Verbundenheit der Partner behauptet: „Und ich habe mich so redlich bemüht, Ihnen plausibel zu machen, daß innerer Wert gar nichts mit erotischer Attraktion zu tun hat“ (S. 21). Nach den eher theoretischen Überlegungen setzt im zweiten Teil des Romans eine tatsächliche Romanhandlung ein, die man als Umsetzung der zuvor erläuterten Konzepte verstehen kann. Die Briefeschreiberin begibt sich auf eine Reise nach Rom, bei der sie den leidenschaftlichen Pedro kennenlernt, für den sie intensive Gefühle entwickelt. Da Pedro verlobt ist, kann die Schreiberin sich auf diese für sie emotional eigentlich zu starke Beziehung einlassen. In Rom begegnet sie einer vergangenen Affäre, Sir John, mit dem sie sich in der Folge zu einem regelmäßigen Austausch über ihrer beider Affären trifft. Sir John vermittelt den Kontakt zu dem jungen Dichter Bobby. Die Schreiberin steht nun in einem erotischen Dreieck, das Pedro, Sir John und der Dichter bilden. Mit allen dreien flirtet sie und alle drei braucht sie, weil nicht einer allein die Facetten ihres Wollens befriedigen könnte. Nur wenn die sie begleitenden Männer gleichzeitig präsent sind, entfacht neues Begehren für den einzelnen: „Es gibt Männer, in die man nur richtig verliebt ist, wenn noch andere dabei sind“ (S. 77). Als Pedro durch seine familiären Verhältnisse gezwungen ist abzureisen, fährt die Schreiberin gemeinsam mit Bobby und Sir John nach Neapel. Dort checken sie unter falschen Namen und in Vorspiegelung verwandtschaftlicher Beziehungen zueinander in ein Hotel ein, um aufgrund ihrer unkonventionellen Beziehung keine Schwierigkeiten zu bekommen. Der Roman endet offen mit einer Abreise. Nach der Trennung von Pedro reist die Schreiberin mit Bobby und Sir John auf eine Insel. „Aber nein – ich werde von jetzt an nie mehr das tun, was sicher das Beste wäre und das Gescheiteste. Bobbys Insel ist gewiß das Dümmste, was ich tun kann – und ich wähle Bobbys Insel“ (S. 98). Reventlows weibliche Figur rechtfertigt ihr Handeln dem Doktor gegenüber also damit, dass sie sich bewusst für einen antibürgerlichen und auf gegenwärtige Lustgewinnung ausgerichteten Lebensstil entschieden hat.


Form des Romans[Bearbeiten]

Es handelt sich um einen monophonen Briefroman, der sich aus 19 Briefen einer weiblichen Briefschreiberin an einen männlichen Freund zusammensetzt. Heide Eilert zufolge lässt sich eine Zweiteilung ausmachen: Während die ersten neun Briefe die „Liebestheorie der Schreiberin anhand von Erinnerungen, Reflexionen, Konfessionen und eingestreuten Anekdoten“ (S. 100) entwerfen, kann der zweite Teil als Überführung der „Theorie in unmittelbare Handlungen“ (S. 100) verstanden werden. Die Briefe knüpfen an die Tea-room-Gespräche an, die die Schreiberin in einem Hotel mit dem Doktor geführt hat. Daraus ergeben sich eine konzeptuelle Mündlichkeit, der oft unvermittelte Einstieg der Briefe sowie die durchweg assoziative Gedankenführung. Reventlow evoziert gleichsam die Illusion der Fortführung dieser Tee-Gespräche. Der Untertitel Amouresken ordnet den Roman scheinbar einem Genre zu. Jedoch kennt die Literaturwissenschaft keinen derartigen Romantypus, sodass der Untertitel vielmehr als ironischer Hinweis zu lesen ist, dass die Autorin sich nicht in eine (männliche) Tradition einschreibt, sondern eine neue (weibliche) Erzähltradition stiftet, in der die Schilderung erotischer Abenteuer von Frauen im Zentrum steht. Sie tut dies, indem sie „durch die Fiktion der Hetärengespräche legitimiert, die traditionelle Rollenverteilung um[kehrt]: Nicht der männliche Abenteurer […] entrollt das Register seiner Serienaffären, sondern hier ist es die Frau, die die Seiten im Album ihrer ‚Amouren‘ umblättert und die Typologie ihrer Liebhaber erstellt“ (Eilert, S. 102).


Interpretationsaspekte[Bearbeiten]

Die Briefeschreiberin nimmt eine selbstbewusste weibliche Position ein, die Erotik und Sinnlichkeit mit Intellektualität verknüpft. Das Autonomiestreben der weiblichen Figur drückt sich zum einen dadurch aus, dass sie betont antibürgerlich auftritt, also ohne längere Bindung an ihre wechselnden Sexualpartner ihre sexuelle Lust auslebt und zum anderen dadurch, dass sie diesen Lebensstil in ihren Briefen öffentlich macht.


Rezeption[Bearbeiten]

Reventlows Lebensstil wie auch ihre Texte, wurden von ihren Zeitgenossen als Provokation verstanden, doch findet ihr freizügiger Roman auch ein positives Echo wie etwa in der Rezension von Joseph Hofmiller aus dem Jahr 1912; er merkt positiv an: Es „tut einem ganz wohl, einmal einem richtigen Frauenzimmer zuzuhören, das munter und spitzig aus der Schule plaudert“ (Hofmiller, S. 490). Für ihre Zeitgenossinnen wird Reventlow zur „Symbolfigur erotischer Rebellion“ (Gnüg, S. 447). Gerade die Typisierung von Männern, die sie in Von Paul zu Pedro vornimmt, wird in der Forschung als notwendiger Schritt der Emanzipation verstanden: „Dieser Vorgang der Zuschreibung nun von weiblicher Seite, der Beurteilung und Rubrizierung von Männern ist für die Selbstfindung von Frauen im Akt des Schreibens der Zeit offenbar ungeheuer wichtig, da sie nur so sich aus dem passiven Status der Zuschreibungen lösen können“ (Roebling 2008, S. 247).


Literatur[Bearbeiten]

Ausgaben

Reventlow, Franziska Gräfin zu: Von Paul zu Pedro. Amouresken. München: Langen, 1912. Reventlow, Franziska Gräfin zu: Romane. Von Paul zu Pedro. Herrn Dames Aufzeichnungen. Der Geldkomplex. Der Selbstmordverein. Hrsg. Else Reventlow. München: Langen Müller, 1976. Reventlow, Franziska Gräfin zu: Von Paul zu Pedro. Amouresken. Berlin: Holzinger, 2013.


Forschungsliteratur

Eilert, Heide: „Nachwort.“ Franziska zu Reventlow: Von Paul zu Pedro. Hrsg. v. Else Reventlow. München: Goldmann, 1984. S. 89-108. Gnüg, Hiltrud: „Erotisch-emanzipatorische Entwürfe. Schriftstellerinnen um die Jahrhundertwende.“ Frauen-Literatur-Geschichte: Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann. Stuttgart: Metzler, 1999. S. 445-463. Hammerstein, Katharina von: „Ego-Dokumente als politische Stimmen zwischen Vormärz und 1918: Louise Aston, Hedwig Dohm, Franziska zu Reventlow.“ Schwellenüberschreitungen: Politik in der Literatur von deutschsprachigen Frauen 1780-1918. Hrsg. v. Caroline Bland und Elisa Müller-Adams. Bielefeld: Aisthesis, 2007. S. 189-208. Hofmiller, Joseph: „Anmerkungen zu Büchern“. Süddeutsche Monatshefte. 9/2 Juli 1912: 489-490. Presser, Kaya: Anleitung zum Unbürgerlichsein – F. Gräfin zu Reventlows Roman Von Paul zu Pedro als Spiel mit Genres und Geschlecht. 2007. Onlineveröffentlichung der Wissenswerkstatt. Rasch, Wolfdietrich: „Nachwort“ Franziska Gräfin zu Reventlow. Briefe 1890-1917. Hrsg. v. Else Reventlow. Frankfurt/M: Fischer Taschenbuch, 1977. S. 585-590. Roebling, Irmgard: „Schreibende Frauen.“ Handbuch Fin de Siècle. Hrsg. v. Sabine Haupt und Stefan Bodo Würffel. Stuttgart: Kröner, 2008. S. 238-255.

Weblinks

Volltextausgaben: http://gutenberg.spiegel.de/buch/von-paul-zu-pedro-1407/1 http://www.zeno.org/Literatur/M/Reventlow,+Franziska+Gr%C3%A4fin+zu/Romane/Von+Paul+zu+Pedro Presser, Kaya (2007): Anleitung zum Unbürgerlichsein – F. Gräfin zu Reventlows Roman Von Paul zu Pedro als Spiel mit Genres und Geschlecht. Onlineveröffentlichung der Wissenswerkstatt: http://www.wissenswerkstatt.net/Texte/Kaya_Presser_Anleitung_zum_Unbuergerlichsein_Reventlows_Roman_Von_Paul_zu_Pedro.pdf


Einzelnachweise[Bearbeiten]

(1) Alle Romanzitate entstammen folgender Textausgabe: Reventlow, Franziska Gräfin zu: Romane. Von Paul zu Pedro. Herrn Dames Aufzeichnungen. Der Geldkomplex. Der Selbstmordverein. Hrsg. v. Else Reventlow. München: Langen Müller, 1976


Dr. Corinna Schlicht (Universität Duisburg-Essen)