Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Aus briefromane
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In seinem selbstreferenziellen Roman „Die Leiden meines ehemaligen Bankberaters“ (2012) inszeniert Tilman Rammstedt ein melancholisches, metafiktionales Spiel, indem er den omnipräsenten Autor Tilman Rammstedt E-Mails an den US-Schauspieler Bruce Willis schreiben lässt. Diese beinhalten die Bitte an Willis eine Rolle in Rammstedts neuen Roman zu übernehmen, um diesem zu einem glücklichen Ende zu verhelfen.

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Inhalt[Bearbeiten]

„Sehr geehrter Herr Willis, / geht es Ihnen gut? / Mit freundlichen Grüßen, Tilman Rammstedt“ (S. 5; Seiten im fortlaufenden Text beziehen sich auf: Rammstedt, Tilman: Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters. Köln: DumontVerlag 2012.) lauten die ersten Zeilen, welche die Figur des Autors Tilman Rammstedt an Bruce Willis verfasst. Es folgen 82 weitere E-Mails, in denen Rammstedt sich an den US-Schauspieler wendet. Zunächst erkundigt er sich nach Willis Zustand, da er in einer Zeitung gelesen habe, dass es ihm zurzeit „alles andere als gut“ (S. 6) ginge. Obwohl Willis nicht antwortet (oder gerade deshalb), sendet Rammstedt ihm weiterhin E-Mails. Im Rahmen dieser asymmetrischen Fehlkommunikation (Willis antwortet zu keinem Zeitpunkt) eröffnet Rammstedt Willis sein Vorhaben. Er plant einen Roman über seinen ehemaligen Bankberater zu schreiben, stolpert aber über den wenig heroischen Charakter des Protagonisten. Er ist ängstlich, neurotisch und zurückhaltend. Dadurch erscheint dieser ungeeignet als Akteur inmitten eines Abenteuers. Die Lösung sieht der Autor in der Neubesetzung seiner Rolle. „Wenn er einfach er selbst bleibt, nimmt die Geschichte kein glückliches Ende, und ich möchte sehr gern, dass sie ein glückliches Ende nimmt.“ (S. 24). An Stelle seines ehemaligen Bankberaters wünscht er sich keinen geringeren als Bruce Willis in seinem Roman. Die anschließenden E-Mails enthalten, neben der Aufforderung an Willis nun endlich zu antworten, eine Schilderung darüber, worin die Rolle Bruce Willis bestünde und wie sie sich zu einem Roman zusammenfügen würde. In seiner im Konjunktiv verfassten Geschichte erzählt Rammstedt, wie er Willis zu dem Zeitpunkt einsetzen würde, an dem sein ehemaliger Bankberater die eigene Bank überfällt: Es fällt ein Schuss und die Bank wird von der Polizei gestürmt. Mithilfe von Rammstedt gelingt Willis die Flucht aus dem Gebäude. Die Polizei setzt Schüsse auf die Flüchtigen ab und trifft Willis am Oberschenkel. Unfähig weiterzulaufen, setzt sich die Flucht mit Hilfe eines Fahrrades (gefahren von Rammstedt) fort. Das Gespann aus Actionheld und Autor versucht sich in einem Wald zu verstecken, wird aber schnell von einer Hundestaffel aufgespürt. Über einen Streit landen die Protagonisten im Morast und können sich vorerst nicht befreien. Einer der Polizeihunde steht bellend vor ihnen, woraufhin Rammstedt versucht, diesen durch einen Biss in die Kehle zu töten. Im Todeskampf stürzen die beiden ins Wasser und können sich nicht an Land retten. Plötzlich taucht Willis in einem roten Ruderboot auf, welches Rammstedt, Willis und den Polizeihund auf die Mitte des Sees bringt. Angekommen, wird der Hund von Schüssen der nun eingetroffenen Polizei getroffen und getötet. Willis und Rammstedt bleiben unversehrt. Ausgelöst durch die anhaltende Passivität Willis, geraten sie in einen Streit über Fiktion, Projektion und Wirklichkeit. Willis weigert sich der Bankberater zu sein, womit Rammstedt schlussfolgert, dass dieser verwundet im Gefängniskrankenhaus liegen muss, da er es niemals aus der Bank geschafft hätte. Sie begeben sich an Land , wandern durch ein Industriegebiet, nehmen den Bus, stärken sich, um dann von einer Frau zum Gefängnis gefahren zu werden. Dabei trägt Rammstedt den toten Hund auf seinem Arm. Am Gefängnis angekommen beginnt er mangels Ideen einen Tunnel zu graben und scheitert kläglich. Willis, der bereits auf dem See heimkehren wollte, zieht davon. Da Willis nie antwortet, bleiben die E-Mails ein unerfüllter Wunschtraum, der zur melancholischen Gemütslage des fiktiven Erzählers passt. Der Roman, in dem Rammstedt nicht selten auch die Produktionsverhältnisse im literarischen Kontext thematisiert, entsteht erst im Verlauf des voranschreitenden E-Mail-Verkehrs. Ergebnis ist die Simulation eines Romans durch einen metafiktionalen Trick (i).



Figuren[Bearbeiten]

Tilman Rammstedt

Tilman Rammstedt tritt in seinem Roman als Protagonist auf. Er beschreibt sich selbst als seriösen und erfahrenen Schriftsteller, der an seinem vierten Buch arbeitet (S. 7). In diesem Zusammenhang erfährt man allerhand über seine Figur. Er hat mit diversen körperlichen Gebrechen zu kämpfen: „abnehmende Sehstärke, Rückenbeschwerden, Knirschschiene“ (S. 6), „Jucken am Hals, allgemeines Unwohlsein“ (S. 17). Darüber hinaus beschreibt er seine derzeitige häusliche Lage als „etwas kompliziert“ (S. 9). Sorgen, die ihn momentan umtreiben, lassen sich durch die Schlagworte „Körper, Beruf, Haustiere“ (S. 10) und „Liebe“ (S. 31) beschreiben. Des Weiteren hat er das Gefühl, sein Leben nicht im Griff zu haben (S. 68). So verbringt er seine Abende zeitweilig in Internetcafés und nächtigt anschließend auf Parkbänken (S. 92 f.). Er hat ein besonderes Verhältnis zu seinem Bankberater. Dieses wird deutlich, wenn er die Form des Kontaktes beschreibt. Anderthalb Jahre lang habe ich ihn immer wieder getroffen, am Ende sogar täglich. Ich habe alles gewissenhaft mitgeschrieben, ich habe ihn beobachtet, ihn studiert, mir nächtelang den Kopf über ihn zerbrochen. Mit nichts kenne ich mich so gut aus wie mit ihm. Ich wusste Dinge über ihn, die er selbst nicht wusste, die er selbst nicht einmal ahnte. (S. 30)


Tilman Rammstedts (ehemaliger) Bankberater

Die Figur des Bankberaters zeichnet Rammstedt ängstlich, neurotisch und zurückhaltend. Die beiden verabreden sich zeitweise auch außerhalb der Bank (S.14) an öffentlichen Orten. Vereinzelt kommt es aber auch vor, dass der Bankberater Rammstedt auf seinem Heimweg bis zur Haustür begleitet (S. 25). Er wird von Rammstedt als besonders facettenreich beschrieben, ohne dass er dieses näher ausführt (S. 28). Der Bankberater kocht gelegentlich für Rammstedt (S. 62) und ruft nachts grundlos bei ihm an (S.40). Sie unternehmen gemeinsame Spaziergänge (S. 83), gehen in den Zoo (S. 91), fahren Fahrrad (S. 111) und zelten in der Bank (S. 84). Im weiteren Verlauf wohnt er sogar bei Rammstedt und bringt ein Namensschild an der Klingel an (S. 140). Bruce Willis Über Bruce Willis erfährt man innerhalb des Romans lediglich, was ihm von Rammstedt auferlegt wird. Er kreiert ihn als kämpferischen Actionhelden, der seinem Roman zu einem glücklichen Ende verhelfen soll und wird im Laufe seiner selbsterdachten Geschichte bitter von dem passiven, lethargischen, körperlich angeschlagenen und wortkargen Mann enttäuscht (S. 78 f.).



Form des Romans[Bearbeiten]

Im weitesten Sinne verfasst Tilman Rammstedt auf 156 Seiten einen modernen Briefroman basierend auf einem asymmetrischen E-Mail-Verkehr zwischen dem Schriftsteller Tilman Rammstedt und dem nicht antwortendem US-Schauspieler Bruce Willis. Zwischen den 82 E-Mails befinden sich 80 typografisch abgesetzte Zwischentexte, in denen Rammstedt Informationen über seinen ehemaligen Bankberater platziert, die er auf Grund seines Vorhabens, einen Roman über ihn zu schreiben, sammelte. Inhaltlich besteht kein direkter Bezug zwischen den Zwischentexten und den E-Mails.



Interpretationsaspekte[Bearbeiten]

Obwohl durch den Titel suggeriert, stellt der Roman keinen Kommentar zur Bankenkrise dar. Es geht viel mehr darum, die auseinanderbrechenden Lebenswelten der Protagonisten zu thematisieren. Dabei befinden sich alle drei in einer Form von Schererei. Zur Beschreibung der Missstände nutzt Rammstedt häufig ein Trikolon („Körper, Beruf, Liebe“; S. 31) und greift somit die Zerteilung auf drei Personen, drei Lebenswelten und drei unterschiedlich ausgeartete Probleme auf. Durch den Aufzählungscharakter vermittelt das Trikolon den Eindruck von Vollständigkeit und Abgeschlossenheit. Der Sachverhalt wirkt dadurch, als sei er umfassend dargestellt worden. Zudem wird er so als prägnanter Bestandteil der Handlung betont.

Die Identitäten der drei Figuren Rammstedt, Willis und der des Bankberaters verschwimmen im Laufe des Romans so sehr, dass die Vermutung nahe liegt, es handle sich um drei Facetten einer Person. Bruce Willis, der zunächst lediglich als Mailadressat fungiert, wird zwischenzeitlich zum Bankberater, um diese Rolle dann auf dem vermeintlichen Höhepunkt rigoros von sich zu weisen. In diesem Diskurs (77 ff.) verschwinden zusätzlich die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit in so hohem Maße, dass der Leser sich aufgefordert fühlt die Frage nach der Logik endgültig zu verwerfen. Dazu trägt ebenfalls bei, dass Rammstedt sich gleichzeitig als Autor und Protagonist inszeniert und diese Rollen mal mehr, mal weniger trennscharf ausarbeitet. Die Gemeinsamkeit aller drei handelnden Figuren scheint eine Grundverzweiflung zu sein, die Rammstedt durch lautes Klagen, Willis über demonstrative Passivität und der Bankberater durch die Tristesse seines Alltages an die Oberfläche bringen. Dabei drängt sich der Zusammenhang zwischen den Bruce-Willis-Projektionen und der psychischen Situation Rammstedts nahezu auf. Eine genauere Ausführung zu diesen Punkten erfolgt seitens des Autors nicht. Mit dem Voranschreiten des Romans verschwimmen obendrein zusehends die Trennlinien zwischen der Figur des Bankberaters und der des Autors Tilman Rammstedt. Charaktereigenschaften, Vorlieben und Eigenarten werden schon zu Beginn des Romans von beiden Figuren aufgegriffen (z.B. Vorliebe für Tomaten (S. 98), Fingernägel (S. 18 & S. 129)). Später bewohnen beide die gleiche Wohnung und teilen sich ein gemeinsames Klingelschild (S. 140 f.).

So streng die formalen Vorgaben sind (auf jede E-Mail folgt ein Zwischentext), so willkürlich ist die inhaltliche Struktur in Bezug auf die Zwischentexte. Es scheint, als legitimiere die formale Stringenz die inhaltlichen Absurditäten der Anekdoten aus dem Leben des Bankberaters. Dabei schwanken die Zwischentexte inhaltlich zwischen größter Banalität und philosophischen Aphorismen („,Pfützen sind die Ozeane des kleinen Mannes’, sagte er. Er trat einen Schritt zurück. ,Des sehr kleinen Mannes’, sagte er dann.“ (S. 40))

Der gesamte Roman enthält Hinweise zur Künstlichkeit des Textes. Auf Basis dieser Ebene der Metafiktion reflektiert Rammstedt seine Arbeit als Schriftsteller und lässt den Leser daran teilhaben. „Und jetzt sitze ich nicht am Schreibtisch, sondern hier mit Ihnen in diesem Boot.“ (S. 66)

Die reale Person Tilman Rammstedt ist Träger des Ingeborg-Bachmann Preises. Im Jahr 2008 erhielt er diesen für einen Auszug aus der Familiengeschichte „Der Kaiser von China“. Der im Roman „Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters“ häufig thematisierte Zeitdruck im literarischen Betrieb ist als eine Anspielung auf ein 2008 kursierendes Gerücht zu deuten. In diesem Zusammenhang thematisierte man Rammstedts Schwierigkeiten, den Bachmann-Auszug pünktlich zum Herbst in ein vollständiges Buch zu verwandeln (ii).



Rezensionen[Bearbeiten]

„Der echte Tilman Rammstadt hat aus diesen Verwicklungen einen köstlichen, geistreichen und höchst amüsanten Roman gebastelt, der nicht nur auf verschlungenen Wegen von Abenteuern erzählt, sondern auch das Abenteuer des literarischen Schreibens thematisiert, ohne dabei in Tiefsinn zu verfallen, sondern mit der Leichtigkeit eines Jongleurs, der nicht weiß, ob ihm nicht gleich ein Ball herunterfällt und er überlegen muss, wie hebt er ihn dann möglichst unauffällig und elegant wieder auf.“ (iii)


„Diese Coveridee ist sehr komisch, und auch notorische Griesgrame werden sich aus der Reserve locken lassen. Das Problem ist nur, dass alles, was den Clou dieses Romans ausmacht (und der Roman besteht ausschließlich aus der Entfaltung dieses Clous), bereits auf dem Cover des Buches steht. Was dann auf den 155 großzügig gesetzten Seiten folgt, ist im besten Fall Variation, meist nur Repetition dieses Grundeinfalls.“ (iv)


„Ein wunderbar seltsamer Lebensberater: Tilman Rammstedt demonstriert aufs Neue die Allmacht der Phantasie und offenbart sich bei aller literarischen Spielerei als großer Melancholiker.“ (v)



Ausgabe[Bearbeiten]

Rammstedt, Tilman: Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters. Köln: DumontVerlag 2012. EUR 18,99, Erstverkaufstag 17.10.2012, ISBN 978-3-8321-9686-8



Weblinks[Bearbeiten]

http://www.zeit.de/2012/51/Tilman-Ramstredt-Abenteuer-meines-ehemaligen-Bankberaters

http://www.zeit.de/kultur/literatur/2012-10/tilman-rammstedt-die-abenteuer-bankberater

https://www.perlentaucher.de/buch/tilman-rammstedt/die-abenteuer-meines-ehemaligen-bankberaters.html

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/f-a-z-romane-der-woche-das-schwierige-schlussmachen-mit-bruce-willis-11930313.html

http://www.deutschlandfunk.de/e-mails-an-bruce-willis.700.de.html?dram:article_id=242963



Einzelnachweise[Bearbeiten]

(i) Vgl. http://www.zeit.de/2012/51/Tilman-Ramstredt-Abenteuer-meines-ehemaligen-Bankberaters (Abruf 26.05.2015, 11:12 Uhr)

(ii) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/f-a-z-romane-der-woche-das-schwierige-schlussmachen-mit-bruce-willis-11930313.html (Abruf 26.05.2015, 11:41 Uhr)

(iii) http://www.deutschlandfunk.de/e-mails-an-bruce-willis.700.de.html?dram:article_id=242963 (26.05.2015, 12:10 Uhr)

(iv) http://www.zeit.de/2012/51/Tilman-Ramstredt-Abenteuer-meines-ehemaligen-Bankberaters (26.05.2015, 12:12 Uhr)

(v) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/f-a-z-romane-der-woche-das-schwierige-schlussmachen-mit-bruce-willis-11930313.html (26.05.2015, 12:15 Uhr)



Shari Krüger