Gut gegen Nordwind

Aus briefromane
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Der 2006 vom österreichischen Schriftsteller Daniel Glattauer veröffentlichte Roman Gut gegen Nordwind handelt von dem E-Mailaustausch zwischen zwei einander fremden Personen, Emmi und Leo, die durch einen Zufall in Kontakt treten und deren Verhältnis mit der Zeit immer intensiver wird. (1)

Inhalt und Figurenkonstellation[Bearbeiten]

Emmi Rothner schickt, mit dem Vorhaben das Abonnement einer Zeitung abzubestellen, versehentlich eine Kündigungs-E-Mail an Leo Leike, da sie sich bei der Adresse vertippt. Nach mehreren unbeabsichtigten E-Mails macht dieser sie auf ihr Versehen aufmerksam, und es entwickelt sich ein Gespräch über Emmis Tippfehler und ihre Art und Weise zu schreiben, von welcher ausgehend Leo auf ihr Schreib– und Sprechverhalten und auf ihre Person zu schließen versucht. Es stellt sich heraus, dass Leo sich zu dem Zeitpunkt beruflich mit der Sprachpsychologie von E-Mails und deren Relation zur Übertragung von Emotionen beschäftigt. Währenddessen erfährt man, dass Emmi sich beruflich mit Homepages befasst. Bereits zu diesem Zeitpunkt hat sich das gegenseitige Interesse gesteigert, und es hat sich das Bedürfnis entwickelt den jeweils anderen näher kennenzulernen. Nachdem Leo, gründend auf Emmis Schreibverhalten, ihr seine bisherigen Annahmen über sie nahelegt, steht das Alter sowie das Aussehen der beiden als Geheimnis zwischen ihnen. Beide denken nach einiger Zeit aus Neugierde abwechselnd immer wieder über ein gemeinsames Treffen nach, entscheiden sich jedoch immer dagegen. Grund dafür ist die Angst, dass ihre kreierten Fantasiebilder voneinander, die sie sich durch ihre Worte zusammenbasteln, der Unmittelbarkeit einer Begegnung nicht standhalten könnten und ihr Kontakt durch eine solche Ernüchterung beendet werden würde. Trotzdem einigen sie sich auf eine Art Spiel, ein Erkennungstreffen, bei dem beide in einem bestimmten Zeitraum in einem verabredeten Café erscheinen und versuchen möglichst unauffällig einander zu erkennen. Das Spiel geht so aus, dass Leo zwar eine Auswahl von drei möglichen Frauen, die Emmi sein könnten, hat, Emmi allerdings keinen Mann entdecken konnte, den sie für Leo halten könnte. Dabei schließt sie den für sie einzig interessanten Mann aus, da dieser gemeinsam mit seiner angeblichen Partnerin da gewesen ist. Allerdings zeigt sich, dass dieser Mann tatsächlich Leo gewesen ist, der seine Schwester, die Emmi fälschlicherweise als seine Lebenspartnerin eingeschätzt hat, mit zu dem Treffen genommen hat. Daher kann sie sich nicht an sein Aussehen erinnern.

In dem Austausch der Protagonisten gibt es gewisse Tabuthemen, die nicht angesprochen werden, wie beispielsweise Privates oder der Familienalltag. Was zwischen ihrem Verhältnis steht, ist unter anderem Emmis Ehe. Dies stellt insofern einen Konflikt dar, da beide immer wieder durchblicken lassen, dass sie Gefühle füreinander haben. Es liegt sogar schon früh die Annahme nahe, dass sie sich in einander verliebt haben. Diese rührt vor allem daher, dass besonders Leo, wenn er unter Alkoholeinfluss steht, äußerst aufrichtige und gefühlsintensive Nachrichten verfasst. Gleichzeitig wehrt er sich gegen seine Zuneigung, da seine Vernunft immer wieder gegen sie spricht. Wenig später kommt Emmi auf den Gedanken, Leo mit ihrer Freundin Mia verkuppeln zu wollen, woraufhin nach anfänglichem Zögern ein Treffen zwischen ihnen zustande kommt. Nachdem Emmi immer eifersüchtiger reagiert, löst Leo auf, dass er um ihre Absicht, ihm durch Mia physisch näher zu kommen, Bescheid gewusst habe. Deswegen hat er ihr nie Details über seine Treffen mit Mia erzählt und ihr nicht von Anfang an mitgeteilt, dass er gar kein Interesse an Mia habe. Ihr gegenseitiges Interesse aneinander entfaltet sich mit der Zeit bis zur Abhängigkeit von dem Schreiben des anderen. So eröffnet Emmi Leo, dass er ihr durch seine E-Mails dabei helfe einzuschlafen, wenn sie es, sobald der Nordwind weht, nicht schafft. Während dieser Intensivierung ihres Verhältnisses, erfährt Bernhard Rothner, Emmis Ehemann, von ihrem Kontakt und verfasst heimlich eine E-Mail an Leo, in der er ihn darum bittet, sich ein Mal mit seiner Frau zu treffen, um der Beziehung ein Ende zu bereiten. Nur wenn Leo eine physische Dimension in Emmis Leben annehme, könne Herr Rothner ihn als Konkurrenten betrachten und gegen ihn ankämpfen. Hiervon ahnt Emmi jedoch nichts. Es kommt dazu, dass Leo ein Jobangebot für einige Jahre in Boston bekommt und dieses annimmt. Er erkennt es Chance den Kontakt zu Emmi, den er mittlerweile für schädlich und ungesund hält, zu beenden, um von ihr loszukommen und um einen Neuanfang zu beginnen. Als Abschluss ihres Verhältnisses soll ein Treffen dienen, zu dem es letztendlich jedoch nicht kommt. Am Tag nach dem geplanten Treffen schreibt Emmi ihm eine E-Mail, in der sie erklärt, dass ihr Ehemann, der sie sonst immer „Emma“ nenne, auf einmal „Emmi“ genannt habe, was sie erschüttert habe, da sie sich dadurch durchschaut gefühlt habe. Vor allem ist sie sich in diesem Moment bewusst geworden, dass sie sich in Leo verliebt habe. Als Antwort stellt sich jedoch eine Abwesenheitsnotiz des Systemmanagers ein, was verdeutlicht, dass Leo bereits in Boston ist.

Form des Romans[Bearbeiten]

Der E-Mail-Roman setzt sich aus den einzelnen E-Mails der beiden Protagonisten zusammen. Dieses Medium birgt die Möglichkeit, dass viele Nachrichten am Tag versandt werden können und der Austausch somit sehr intensiv und dicht wird. Besonders, weil er zu jeder Tageszeit erfolgen kann. Vor jeder E-Mail wird der zeitliche Abstand in Sekunden bis Monaten zur letzten E-Mail genannt. Außerdem kommt es im Buch häufig vor, dass sich eine Art virtuelles Gespräch entwickelt, da die Antwortzeit manchmal nur wenige Sekunden beträgt. Das hat eine spontane Gedankenäußerung zur Folge und somit teilweise auch einen Sprachgebrauch, der nah an der Mündlichkeit zu verorten ist.

Interpretationsaspekte[Bearbeiten]

1) Der Roman handelt unter anderem von Emmis Suche nach sich selbst. Verankert in den Pflichten, die ihr der Alltag im Familien- und Eheleben auferlegt, empfindet die offene und sensible Emmi Neugierde gegenüber der neuen Möglichkeit, die sich ihr auftut. Sie wirkt immer wieder, als falle ihr die Monotonie ihres Lebens schwer und als wolle sie etwas Neues und Anderes erleben. Dies gibt sie jedoch nie zu; stattdessen betont sie immer wieder, wie glücklich verheiratet sie sei. Ob sie, in Anbetracht des Umstandes, dass sie abhängig von Leos E-Mails wird, davon wirklich überzeugt ist oder nicht, bleibt fraglich. Feststeht, dass Leo und sie ein unterschiedliches Bild von Liebe und Ehe haben. Bereits während der ersten E-Mails wird ihr Interesse schnell geweckt und es entwickelt sich dahingehend, dass Emmi zuletzt einen engeren psychischen Kontakt zu Leo hat als zu ihrem Ehemann. Schnell entwickelt sich das Gespräch mit Leo zu ihrem idyllischen Fluchtort, an dem sie sie selbst sein kann, an dem ihr zugehört wird und an dem sie den Alltag vergessen kann. Sie genießt die Aufmerksamkeit, die ihr Leo schenkt und sieht ihn als ihre Ablenkung. Er bringt Farbe in ihr monotones Leben und gibt ihm eine neue Beschäftigung, sozusagen einen neuen Sinn. Sie spricht bildlich immer wieder davon, dass Leo ihre „Außenwelt“ (105) und ihr „Inselchen“ (86) sei, was letztendlich auch die neue Funktion ist, die er in ihrem Leben einnimmt.

2) Damit in Verbindung steht die wichtige Funktion, die das Internet für beide einnimmt. Dass Emmi sich am besten im Internet ausleben kann, zeigt das Potential des Internets hinsichtlich seiner Unverbindlichkeit und seines Charakters, der auf der einen Seite Nähe auf der anderen Seite gleichzeitig Distanz ermöglicht. Emmi wähnt sich von gewissen Erwartungen oder Verbindlichkeiten entbunden. Trotz der gegenseitigen Fremdheit baut sich schnell Vertrauen und eine gewisse Anziehung auf beiden Seiten auf. Genau dieser Gegensatz zwischen der Anonymität und Gesichtslosigkeit einerseits und der erwarteten Erfüllung der Sehnsüchte und der Anziehungskraft auf der anderen Seite beflügelt Emmi und verleiht dieser außergewöhnlichen Beziehung ihre Spannung. Der ambivalent scheinende Gedanke, Nähe durch Distanz aufzubauen, scheint zunächst zu funktionieren. Jedoch wird schnell deutlich, dass der geschützte Raum, den sie sich für die Auslebung ihrer Sehnsüchte virtuell aufgebaut haben, nicht immer isoliert werden kann. Die Mauern des Internets werden brüchig und scheinen unter der Last des Alltags und der Wirklichkeit einzubrechen. Schließlich scheitert die virtuelle Beziehung an der Wirklichkeit.

3) Emmi und Leo kreieren gegenseitig ein eigenes Bild des jeweils anderen. Auf der Grundlage dessen, was sie schreiben, basteln sie sich ein Fantasiebild. Besonders Leo entsagt hartnäckig einer physischen Begegnung mit Emmi, da er befürchtet, dass sein Idealbild zerstört werden würde und die Virtualität ihres Dialogs der unmittelbaren Leibhaftigkeit nicht standhalten würde. Schnell wird klar, dass sich beide in einer Liebesutopie und Illusion verlieren, die fernab von Realität und Greifbarkeit nur im isolierten Raum des Internets existieren kann. Zwar flüchten beide vor dieser Wahrheit, jedoch sprechen sie stellenweise ebendiesen Konflikt aus: „Ich bin dankbar, dass ich nicht erfahren muss, dass Sie in Wirklichkeit eine andere sind als meine ‚Heldin Emmi aus meinem E-Mail-Roman’. Da sind Sie perfekt, die Schönste der Welt, da kommt keine an Sie heran.“ (126) Es ist Leo, der immer wieder den Weg der Vernunft einzuschlagen sucht, welcher ihn ermahnt die Beziehung zu beenden; besonders, weil Emmi verheiratet ist und nicht in Aussicht stellt, ihre Ehe aufzugeben. Dieser Konflikt zwischen physischer Distanz und virtueller Nähe bleibt als Spannungsfeld zwischen den Protagonisten bestehen.

Rezeption[Bearbeiten]

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist ein Beispiel für eine Rezension zu finden, die Daniel Glattauers Werk kritisch gegenübersteht und es mit „Katzenjammer“ und „Oberflächenverliebtheit“ assoziiert. So empfiehlt Oliver Jung in diesem Artikel das Buch bloß als Lektüre, um gut einschlafen zu können. Dem entgegen tituliert Andreas Isenschmid seine Rezension mit der Aussage „Der erste E-Mail-Roman bietet Romantik pur“ und lobt Emmis und Leo Liebesgeschichte, die Sprache und den Witz des Buches. Darüber hinaus schreibt er, dass die Frühromantiker an diesem Liebesballett ihre Freude gehabt hätten und dass er sich über ein Wiedersehen mit d en Protagonisten freuen würde.

Ausgaben[Bearbeiten]

Glattauer, Daniel: Gut gegen Nordwind. Wien 2006. Glattauer, Daniel: Gut gegen Nordwind. München 2008.

Literatur[Bearbeiten]

Glattauer, Daniel: Gut gegen Nordwind. München 2008.

Weblinks[Bearbeiten]

Jungen, Oliver: Ach, wenn ihr Kabel nicht wär’. Oberflächenpolitur: Daniel Glattauer flirtet per E-Mail, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.11.2006 (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/ach-wenn-ihr-kabel-nicht-waer-1386428.html). [1]

Idenschmid, Andreas: Der erste E-Mail-Roman bietet Romantik pur, in: Neue Züricher Zeitung, 17.12.2006 (http://www.nzz.ch/articleEQVJJ-1.83919). [2]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

(1) Der Roman wird im fortlaufenden Text unter Angabe der Seitenzahl zitiert nach: Glattauer, Daniel: Gut gegen Nordwind. München 2008



Laura Viktoria Ostfeld