Liebe Tracey, liebe Mandy

Aus briefromane
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Der 1995 im Deutschen erschienene Roman Liebe Tracey, liebe Mandy von John Marsden besteht aus einem Briefwechsel zwischen den zwei Teenagermädchen Tracey und Mandy. Der Briefwechsel erstreckt sich über einen Zeitraum von exakt zwei Jahren. Die Jahreszahl der Briefe ist nicht erfasst. Der Roman ist ursprünglich unter dem englischen Titel Letters from the inside 1991 veröffentlicht und von Heike Brandt in die deutsche Sprache übersetzt worden.

Inhalt und Figurenkonstellation[Bearbeiten]

Der Briefwechsel zwischen Tracey und Mandy entsteht durch eine selbst aufgegebene Annonce Traceys in der Zeitschrift Girl. Diese gibt Tracey ursprünglich nur aus Spaß auf.

Der Roman beginnt mit einem Brief von Mandy an Tracey, die auf die Zeitschriftenannonce Antwort gibt. Der Leser erfährt einige erste Einzelheiten über die Figur Mandy. Mandy ist 15 Jahre alt, lebt in Australien, Acacia Park, gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder Steve. Ihre ältere Schwester Katrina ist bereits aus dem Elternhaus ausgezogen.

Die ersten Briefwechsel der beiden Mädchen beschränken sich vordergründig auf Alltagsgespräche. Besondere Themen sind erste Flirts zum anderen Geschlecht, Informationen zu der Familienkonstellation und Umgebung seitens Mandys, die Schule und der Austausch ihrer Hobbies. Auch Tracey erzählt im Verlauf ihrer Briefe mehrere Dinge über ihre Familie, ihren festen Freund, aktuelle Mode, Geld, Freizeitaktivitäten und die Schule. Durch Traceys Briefe wird der Eindruck eines nahezu perfekten und beneidenswerten Lebens eines Teenagers vermittelt. Dies stellt auch Mandy bereits nach den ersten Briefwechseln fest: „Echt, dein Leben klingt perfekt! Tolle Familie, toller Freund, jede Menge Kohle. Ich bin neidisch!“ (S.14) Auch Mandy erzählt von vielen Freunden und ihrer Familie. Nach einigen Nachfragen Traceys über Mandys Bruder, stellt sich eine erste Vertrauensbasis heraus, die sich darauf auswirkt, dass Mandy in ihren Briefen von ihren privaten Problemen im Elternhaus berichtet, die mit ihrem gewalttätigen Bruder Steve zusammenhängen. Mandy erzählt, „dass [sie] vor Steve Angst habe.“ (S. 30) Dies lässt die Charaktere der Figuren kontrastierend gegenüber stehen.

Durch Distanziertheit, Zurückhaltung und aufkommende Unstimmigkeiten in den Briefen Traceys, wie zum Beispiel eine scheinbare Lüge über ihre Schullaufbahn, wird Mandy misstrauisch und fordert die Wahrheit über Tracey und ihr Leben zu erfahren. Tracey hingegen reagiert zunächst nicht mehr auf Mandys Briefe, und es entsteht eine Lücke im Briefwechsel, der nur noch monologisch von Mandy geführt wird mit der Bitte die Wahrheit zu erfahren.

In einem weiteren Brief, der den Perspektivwechsel wieder aufnimmt, antwortet Tracey ihrer Brieffreundin: „Du willst weiter in meinem Leben rumschnüffeln, also sag ich dir die Wahrheit, aber die wird dir nicht schmecken.“ (S. 61) Tracey ist aufgrund einer Straftat in einer Verwahranstalt namens Garrett, „in die sie dich stecken, wenn du schlecht bist.“ (S. 61) Tracey möchte daraufhin den Kontakt zu Mandy gänzlich abbrechen, diese hält jedoch an ihrer aufbauenden Freundschaft fest, die scheinbar auf einer Lüge basiert und alle bisherigen Briefe infrage stellen lässt. Was ist wahr, was ist gelogen? Mandy befindet sich in einem „Schockzustand“ (S. 63), ist aber zugleich neugierig mehr über Tracey und ihr wirkliches Leben in Erfahrung zu bringen.

Im Antwortbrief Traceys ist diese ebenso schockiert, da sie nicht mit einem weiteren Briefwechsel gerechnet hat. Es wird noch einmal auf den Beginn des Romans verwiesen, nämlich auf die Frage nach der aufgegebenen Anzeige in der Zeitschrift. Die Frage, die bislang offen ist, beantwortet Tracey nun für sich selbst. „Ich wollte, dass du normal bist, die normalste Person der Welt.“ (S. 64) Der Wunsch einer Familie nahe zu kommen, die sie wahrscheinlich nie mehr haben wird. Der Grund für ihre Inhaftierung in die Jugendstrafanstalt Garrett bleibt im gesamten Briefroman offen.

Durch einen freiwilligen Aufsatz, den Tracey im Gefängnis schreibt, gewinnt sie einen Preis. Der Aufsatz handelt von ihrer Großmutter, bei der sie einige Zeit gelebt hat und von Tracey selbst. Der Titel „Gib nicht auf, bevor deine Zeit abgelaufen ist“ (S. 50) schwingt besonders im weiteren Verlauf des Romans mit und zeigt an, dass beide Mädchen stark sein müssen. Auch Mandy schreibt häufiger über Steve und lässt ihren Gefühlen freien Lauf. Sie erwartet keine Ratschläge, fühlt sich in den Briefen an Tracey jedoch sicher. Die Angst vor Steve wächst weiter an. Dies äußert sich durch weitere Wutausbrüche Steves und der Betonung einiger Waffen in seinem Zimmer. Die direkte Aussage: „Und ich habe Angst vor ihm. Er schlägt mich, stößt mich, tritt mich“, zeigt Distanziertheit, Emotionslosigkeit und pure Angst vor ihrem Bruder. (S. 133)

In der Weihnachtszeit schreiben die beiden Mädchen sich weiterhin und bekommen die Möglichkeit zu einem Telefonat. In dieser Zeit wird Tracey von Träumen geplagt, die jedes Mal erneut in einem Blutbad enden. Der Briefwechsel endet im Februar des nächsten Jahres abrupt, da auch nach vielen Versuchen Traceys Mandy über den Briefkontakt zu erreichen, seit kurz vor Weihnachten keine Antworten mehr von Mandy eintreffen. Das Ende des Romans bleibt somit offen und regt zum Nachdenken an, wieso Mandy, die fortwährend an ihrer Freundschaft festgehalten hat, nicht mehr antwortet.

Interpretationsaspekte[Bearbeiten]

1.) „Gib nicht auf bevor die Uhr abgelaufen ist“ – Der Satz zieht sich versteckt durch das gesamte Werk und kann als Lebensmotto beider Hauptfiguren angesehen werden. Tracey bekommt die Aufgabe im freiwilligen Unterricht einen Aufsatz zu diesem Thema zu verfassen. Diesen schreibt sie über ihre Großmutter und sich selbst, da ihre Großmutter nach diesem Motto ihr Leben geführt hat. Sie hat Tracey aufgezeigt, wie wichtig es im Leben ist zu kämpfen. Rückblende zu Traceys Familie: Traceys Vater hat seiner Frau und seinen Kindern Gewalt zugefügt und ihre Mutter musste unter dieser Gewalt ihr Leben lassen. Hier steht nicht die körperliche Kraft, sondern die seelische Kraft der Großmutter und auch Traceys, als sie von dieser Tat erfährt, im Vordergrund. Tracey benötigt das Wiederaufstehen gegenwärtig um im Jugendgefängnis zu überleben. Auch die Figur Mandy kann auf diesen Satz bezogen werden - sie muss sich selbst und ohne die Hilfe ihrer Eltern vor ihrem Bruder beschützen. Tracey und Mandy geben ihre Freundschaft zueinander nie auf, unwichtig, welche Umstände und Lügen sie an ihrer Freundschaft zweifeln lassen. In dem letzten Brief Traceys an Mandy, den sie nicht abschickt, greift sie ein letztes Mal darauf zurück und zeigt eine letzte Hoffnung Traceys und appelliert an Mandy nicht aufzugeben, bevor ihre Uhr abgelaufen ist.

2.) Gewalt ist die zentrale Thematik im Briefroman. Hier treffen Opfer und Täter verschiedener Ausgänge und Konstellationen aufeinander und entwickeln eine enge Brieffreundschaft. Als erstes ist Mandy zu nennen, die unter den Gewaltausbrüchen ihres Bruders Steve leidet und diesem hilflos ausgeliefert ist. Sie fürchtet sich vor ihm und traut ihrem Bruder Mord zu: „Weißt du, wenn ich über diese Typen lese, die die Morde in Richmond Park oder das Massaker im Harvey House begangen haben, dann frage ich mich, ob mein eigener Bruder so enden wird.“ (S. 32) In Bezug auf das Thema Gewalt steht Mandy in Kontrast zu Tracey. Tracey, inhaftiert in Garrett, sitzt wegen einer Straftat im Jugendgefängnis. Diese musste selbst in ihrer Kindheit Gewalt durch ihren Vater erfahren und wechselt so von der Opfer- zur Täterrolle.

3.) Im Roman wird nichts explizit über die Straftat Traceys berichtet. Sie warnt Mandy davor sie danach zu fragen, da diese dann „nichts mehr mit [ihr] zu tun haben [will]“. (S. 70) An einigen Stellen weist ihre Straftat auf ein Verbrechen gemeinsam mit ihrem damaligen Freund Raz hin, der „eine Art Steve [war]“ (S. 102) In ihren letzten unbeantworteten Briefen an Mandy, die kurz nach Weihnachten verfasst worden sind, erzählt Tracey von sich wiederholenden Träumen, die von „Messer[n] und Kugeln und Blut und Schatten im Dunkeln [handeln].“ (S. 148) An dieser Stelle könnte man zwei Deutungsansätze wagen. Zum einen könnte der Traum ihre Tat mit Raz widerspiegeln. Zum anderen könnte Tracey von einer möglichen Gewalttat Steves an Mandy und ihre Familie träumen, da Traceys Briefe unbeantwortet bleiben. In ihrem letzten Brief an Mandy, am 21. Dezember, erzählt Mandy, dass nun auch ihre Eltern alarmiert sind. Steve besitzt einen 22er Revolver und das Gewehr seines Großvaters und beschäftigt sich mit diesen und seinen Computerspielen. Waffenbesitz ist ein situativer Faktor, der aggressives Verhalten auslösen kann. (2) Zudem fördern gewalthaltige Spiele beim „Spieler feindselige Gedanken und Gefühle, körperliche Erregung und aggressives Verhalten.“ (3) Sein dissoziales Verhalten äußert sich vor allem in „Wutanfällen, Schlagen, Bedrohen, Schule schwänzen“ (4). Es wird deutlich, dass Mandy ihrem Bruder einen Mord zutraut, denn „[j]edenfalls würde [sie] nicht gern bei McDonalds sein, wenn er eines Tages da reinmarschiert.“ (S. 145) Hier verweist der Autor auf einen tatsächlichen Amoklauf in einer McDonalds Filiale in San Diego. Dort hat ein Familienvater am 18.07.1984 21 Menschen mit verschiedenen Waffen erschossen und viele weitere Menschen schwer verletzt. (5)

4.) Der Autor John Marsden lässt in seinem Roman mit einer Person zwei gegensätzliche Charaktere aufeinandertreffen. Marsden entwickelt mit der fiktiven Tracey das Bild eines typischen Mädchens, das verwöhnt ist. Sie reitet gern, ist sportlich, betreibt Shopping und hat ausreichend Geld zur Verfügung, um sich ihre Aktivitäten leisten zu können. Außerdem hat sie einen festen Freund, möchte später gern als Kinderärztin arbeiten und schreibt gerne Gedichte. Kontrastierend ist die wahre Tracey, die Basketball spielt, kein Geld besitzt, in einer Familie voll Gewalt groß geworden ist und an manchen Stellen durch Egoismus dargestellt wird, um sich im Gefängnis gegenüber ihren Mitinsassen zu behaupten. Hier ist offensichtlich, dass bei Tracey Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Mit der Figur Mandy stellt Marsden einen weiteren Gegensatz heraus. Mandy muss sich das Geld für ihre Aktivitäten selbst erarbeiten. Sie geht ebenfalls gern einkaufen und weiteren Hobbies nach, muss sich jedoch gegen ihren Bruder beweisen und strengt sich in der Schule an, um gute Noten zu erreichen.

Form des Romans[Bearbeiten]

Der Roman ist ein Briefroman, also ohne die Figur eines Erzählers. Die beiden Mädchen Tracey und Mandy schreiben ihre Briefe jeweils chronologisch aus der Ich-Perspektive. Hierbei erfährt der Leser nur die Dinge, die die Figuren selbst preisgeben. Durch die intensiven Gefühle und die beschriebenen Tagesabläufe ähnelt der Briefroman dem Aufbau eines Tagebuchs.

Rezeption[Bearbeiten]

1996 wurde der Briefroman für den Jugendliteraturpreis nominiert.

Ausgaben[Bearbeiten]

Marsden, John: Liebe Tracey, liebe Mandy. Weinheim Basel 1995.

Marsden, John: Letters form the inside. Houghton Mifflin Harcourt 1994.

Literatur[Bearbeiten]

Beelmann, Andreas & Rabe, Tobias: Dissoziales Verhalten von Kindern und Jugendlichen. Erscheinungsformen, Entwicklung, Prävention und Intervention. Göttingen 2007.

Deegener, Günther & Körnerer, Wilhelm: Gewalt und Aggression im Kindes- und Jugendalter. Ursachen, Formen, Intervention. Weinheim, Basel 2011.

Deimling, Gerhard: Theorie und Praxis des Jugendstrafvollzugs in pädagogischer Sicht. Darmstadt – Berlin 1969.

Kunczik, Michael & Zipfel, Astrid: Gewalt und Medien. Ein Studienhandbuch. Köln 2006.

Marsden, John: Liebe Tracy, liebe Mandy. Weinheim Basel 1995.

Scheithauer, Herbert, Hayer, Tobias & Niebank, Kay: Problemverhalten und Gewalt im Jugendalter. Erscheinungsformen, Entstehungsbedingungen, Prävention und Intervention. Stuttgart 2008.

Weblinks[Bearbeiten]

Marsden, John: About John Marsden. (http://www.johnmarsden.com.au/about.html)

Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V.: Deutscher Jugendliteratur-Preis 2015. (http://www.djlp.jugendliteratur.org/datenbanksuche/jugendbuch-3/artikel-liebe_tracey_liebe_mandy-1637.html)

DigitalLion: Amoklauf James Oliver Huberty (41) (http://www.dunkletage.de/amoklauf/index.php?location=amok_huberty)

Einzelnachweise[Bearbeiten]

(1) Der Roman wird im fortlaufenden Text unter Angabe der Seitenzahl zitiert nach: Marsden, John: Liebe Tracy, liebe Mandy. Weinheim Basel 1995. S. 14-145.

(2) Deegener, Körner (2011) 31.

(3) Scheithauer, Hayer, Niebank (2008) 185.

(4) Beelmann, Raabe (2007) 17.

(5) DigitalLion (2015): 1.

                                                             Elena Kaßelmann, Universität Paderborn