Nina’s Briefe an ihren Geliebten

Aus briefromane
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Der Briefroman „Nina's Briefe an ihren Geliebten“ von Marianne Ehrmann erschien das erste Mal anonym im Jahre 1788. Der Roman umfasst 81 Briefe, in denen die Protagonistin Nina ihrem Geliebten Friz schreibt. (1)


Inhalt und Figurenkonstellation[Bearbeiten]

Nina, die bereits in jungen Jahren ihre Eltern verloren hat, lebt mit einem Mann namens Schark zusammen, der nicht ihr Ehemann, sondern nur ihr versprochener Bräutigam ist. Mit diesen Umständen ist Nina jedoch nicht glücklich. Seine „Grobheiten“ (S. 64) ihr gegenüber und die fehlende oder intellektuell nicht ausreichende Kommunikation, sind zwei der Gründe, die als Ursache für ihr Unglück gelten. Nina beschreibt in ihren Briefen ihre Unterhaltungen mit Schark als „eintönig“ (S. 36) und kann diesen nicht schnell genug entfliehen. Dies ist jedoch anders in ihren Gesprächen mit ihrem Geliebten Friz, in denen sie sich immer so viel zu erzählen haben, dass „die Stunden immer länger dauern [sollten], als für andere Leute“ (S. 45).

In ihren Briefen an ihren Geliebten drückt Nina oft ihr Unglück aus und beschreibt, wie gern sie doch lieber mit ihm zusammen wäre. Friz ist Ninas Mittelpunkt des Lebens und ist der „einzige Mann [ihres] Herzens“ (S. 17). Durch Nina's Briefe erfährt man, dass Friz noch bei seinen Eltern lebt und diese nichts von seiner Liebschaft wissen wollen. Holbaur, ein Freund von Friz, berichtet, dass Friz' Eltern ihren Sohn verkuppeln wollen, und als dieser sich weigerte eine andere Frau zu heiraten, ihn sogar zuhause einsperrten, um ihm den Kontakt zu Nina zu verweigern (Vgl. S. 41). Nina wünscht sich jedoch nichts sehnlicher, als die Versöhnung mit seinen Eltern. Die Einstellung von Friz' Eltern gegenüber Nina und ihre Vorurteile gegen sie spiegeln sich auch in der Gesellschaft wider. In ihrem Briefen beschwert sich Nina des öfteren, wie Fremde über ihre Situation „schwazzen“ (S. 4) und sie von dem Gerede der anderen erdrückt wird.

Aufgrund der ganzen Heimlichtuerei scheinen sich Friz' Launen zu verschlechtern, und Nina versucht ihn immer wieder zu besänftigen und weist ihn darauf hin, „daß [sie] bald in eine andere Lage kommen“ (S. 51). Wie diese aussehen wird, wird nicht erklärt. Jedoch unterzeichnet Nina die folgenden Briefe mit „Gattin“ (S. 60) oder „dein Weib“ (S. 53). Zu etwa der gleichen Zeit scheint Schark, trotz seiner eigenen Liebschaften, eine Eifersucht zu entwickeln, die Nina und Friz dazu zwingt, vorsichtig zu werden und sich wieder heimlich zu treffen.

Obwohl Holbaur als Freund von Friz dargestellt wird, wird jedoch auch klar, dass dieser einen „schändlichen Karakter“ (S. 57) hat, da er selbst Interesse an Nina zu haben scheint und letztendlich Nina und Friz an Schark verrät und versucht Nina mit Geschichten über Friz und anderen „Frauenzimmern“ (S. 69) eifersüchtig zu machen.

Eines Tages verlässt Nina das Haus ihres versprochenen Bräutigams und begibt sich nach Rosenthal, einem Ort, der nicht sehr weit entfernt, jedoch still und abgelegen ist. Während ihres Aufenthalts dort verfällt Nina in einen sehr deprimierten Gefühlszustand, da ihr Alltag dort ziemlich eintönig ist. Sie wartet auf Briefe ihres Geliebten und beweint die Trennung zwischen ihnen beiden; Friz besucht sie nicht so oft, wie sie es gerne möchte. Mit der Zeit und nach einigen Besuchen ihres Friz', scheint Nina sich jedoch, auch dank ihrer gutherzigen Wirtin, mit ihrer Situation abzufinden und wohl zu fühlen. Dieser Zustand wird jedoch durch einen Brief von ihrem Geliebten gestört, indem er von seinem Bruder berichtet, der schlecht über Nina spricht und sie als „Heuchlerin“ (S. 98) darstellt. Daraufhin befürchtet Nina, dass Friz' Familie weitere Intrigen gegen sie schmiedet.

Nach ihrem Aufenthalt in Rosenthal setzt Nina ihre Reise fort. Sie ist nun noch weiter von ihrem Geliebten entfernt und beschreibt in ihren Briefen, wie es ihr nun ohne ihren Gatten ergeht. Nina und ihr Mädchen, Röschen, werden während ihrer Reise nicht gut behandelt; als Dirnen gehalten, und ihre Unterkunft gleicht eher einem „Lumpenwinkel“ (S. 133) als einem angemessenen Zimmer. Nachdem die beiden am Ziel ihrer Reise angelangt sind, verfällt Nina wieder in Schwermut und gibt ihren Kummer in ihren Briefen an Friz Ausdruck. Sie wirft Friz vor, ihr nicht genug Beachtung zu schenken, da sie nicht mehr so viele Briefe wie zuvor von ihrem Gatten erhält und er somit Ursache ihres Kummers ist. Bevor sie ihn kannte, war sie „immer sanft, geduldig und mit hinlänglicher Vernunft versehen“ (S. 119). Zu diesem Zeitpunkt erfährt der Leser, dass Nina ein Kind von ihrem Friz erwartet, da diese sein Fernbleiben als „Mordthat an [s]einem Kinde“ (S. 116) beschreibt. Ninas Zustand verschlechtert sich so sehr, dass Selbstmordgedanken ihren Alltag und ihre Beziehung zu ihrem Mädchen stark beeinflussen.

Letztendlich kann Friz sie jedoch durch einen Brief, indem er ihr von einer Versöhnung mit seiner Familie spricht, beruhigen und Nina blickt nun sehnsüchtig und zuversichtlich dem Moment entgegen, in dem sie ihren Friz wiedersieht und mit ihm zusammenleben kann.


Form des Romans[Bearbeiten]

Der Briefroman beinhaltet primär Briefe von Nina an ihren geliebten Friz, die in der Ich-Perspektive verfasst wurden, aber auch einen Brief von ihrem Mädchen Röschen an Friz (S. 101f). Der Leser erfährt nicht, was der Adressat antwortet, kann sich dieses aber indirekt vorstellen, da Nina in manchen Briefen auf den Inhalt von Friz' Briefen antwortet beziehungsweise darauf eingeht. In vereinzelten Briefen berichtet Nina von Gesprächen zwischen ihr und anderen Personen und stellt diese Unterhaltungen in Dialogform dar (S. 33-35). Zusätzlich fügt Nina ausgewählte Briefe von anderen Bekannten an sie und ihre Antworten an diese (S. 47-49) bei.


Interpretationsaspekte[Bearbeiten]

1) Autobiographische Aspekte

Wie auch in anderen Briefromanen, wie zum Beispiel in Sophie Mereaus „Amanda und Eduard“, stellt sich auch bei „Nina's Briefe an ihren Geliebten“ die Frage, inwieweit das Leben der Autorin die Darstellung des Lebens der Protagonistin beeinflusst hat. Aus dem Roman geht hervor, dass die Beziehung zwischen Nina und ihren Geliebten von einigen Schwierigkeiten geprägt ist. Friz' Eltern haben Vorurteile gegenüber Nina und sind gegen eine Beziehung (vgl. S. 6). Auch in dem Leben der Autorin stand die Beziehung zu Theophil Friedrich Ehrmann, ihrem zweiten Ehemann und dem Herausgeber der Briefe, zuerst unter keinem guten Stern. Seine Eltern waren gegen eine Verbindung der beiden Liebenden. Dies führte im Jahre 1786 dazu, dass beide heimlich heirateten und ihre Beziehung zueinander vor allen anderen geheim hielten (vgl. S. 125). Zu dieser Zeit lebte Theophil Friedrich Ehrmann weiterhin bei seinen Eltern, wodurch er und Marianne Ehrmann sich nur abends oder nachts treffen konnten (vgl. S. 125). Tatsachen, die sich auch in dem Roman widerspiegeln. Ein weiterer Aspekt für die Relevanz des autobiographischen Einflusses kann außerdem in dem Altersunterschied zwischen den beiden Paaren gesehen werden. Im echten Leben war Theophil Friedrich Ehrmann sieben Jahre jünger als die Autorin. Aus dem Briefroman geht nicht explizit hervor, wie viele Jahre Friz jünger als seine Nina ist, jedoch spricht Nina diesen Aspekt selbst an. Oftmals bezeichnet sie Friz als „Jüngling“ (S. 15) oder „Kind“ (S. 15). Außerdem wird der Altersunterschied von einer Dame namens Eleonora angesprochen, die in ihrem Brief an Nina deutlich darauf hinweist, dass sie doch „um einige Jahre älter“ (S. 47) wäre.

Zusammenfassend können deutlich einige Parallelen zwischen dem Leben der Autorin und dem ihrer Figur Nina gezogen werden. Die genannten Aspekte verdeutlichen, dass sich einige emanzipatorische Aspekte aus Marianne Ehrmanns Leben in dem Roman widerspiegeln und mit den bisherigen Normen der Gesellschaft brechen. Zudem könnte man auch vermuten, dass ihr Roman als Medium galt, um die Leser darin zu bestärken, wie die Autorin selbst, an eine Beziehung oder Ehe aus Liebe zu glauben und sich sämtlichen Problemen zu stellen und dafür zu ‚kämpfen‘. Ihre Einstellung: Um am Ende auf ein glückliches Leben zurück zu blicken, müssen vielleicht einige Tiefschläge hingenommen werden, aber am Ende werden sich etwaige Einschränkungen gelohnt haben.


2) Kants „Beobachtungen über das Gefühl der Schönen und Erhabenen“ - Verschönern und Veredeln

In dem dritten Abschnitt aus Kants „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ aus dem Jahre 1764 geht er auf die Beziehung zwischen Mann und Frau und ihre jeweiligen Rollen ein. Kant beschreibt, dass ein „vereinigtes Paar gleichsam eine einzige moralische Person ausmachen“ (2) soll, hierbei haben beide ihre eigenen Aufgaben: Die Frau übernimmt unter anderem die Führung des Haushalts und die emotionale Seite einer Partnerschaft, wohingegen der Mann einen tiefen Verstand besitzt und ihm somit auch die Wissenschaft unterliegt. Mit Hinblick auf „Nina's Briefe an ihren Geliebten“ können einige Verbindungen zwischen dem Roman und Kants Ansichten gesehen werden. In dem Roman betont Nina in ihren Briefen des Öfteren, wie gut ihr und Friz' Charakter zusammen harmonieren (vgl. S. 5) und sie „[Friz'] zweites Selbst“ (S. 33) werden möchte. Nina verdeutlicht außerdem in ihren Briefen, dass ihr Leben ohne ihren geliebten Friz keinen Sinn macht, was eine deutliche Abhängigkeit ihrerseits darstellt. Um auf die verschiedenen Aufgaben in einer Beziehung einzugehen, können auch einige Parallelen gezogen werden. Zum einen ist Ninas Art zu schreiben sehr emotional und aus ihren Briefen geht zudem hervor, dass dies auch ihre Person ist, da ihre Launen sehr von dem Gerede der Gesellschaft beeinflusst werden und sie des Öfteren an Depressionen leidet. Im Gegensatz dazu, bezeichnet Nina Friz' Antworten als „Aufs[ä]tz[e] [s]einer Philosophie“ (S. 48), die seinen tiefen Verstand auszudrücken vermögen. Demnach stellen Nina und ihr Friz eine, zu der Zeit, typische Rollenverteilung dar.

Alles in allem, kann nun Marianne Ehrmanns Rollenverständnis in ihrem Briefroman deutlich auf Kants Darstellung zurückgeführt werden und es zeigt, dass trotz ihres eigenen fortschrittlichen, emanzipatorischen Lebens und der, Ende des 18. Jahrhunderts eintretenden, Emanzipationsliteratur ihre Charaktere den Idealen der damaligen Gesellschaft entsprechen.


3) Das Bild der Frau

Die Frau des 18. Jahrhunderts war in ihren Verwirklichungsbereichen und -möglichkeiten sehr eingeschränkt. Sie übernahmen weitgehend das von Männern geschaffene Geschlechtsideal, die Rolle als Gattin und Mutter, und somit war die Welt der Literatur und Wissenschaft sehr stark durch männliche Autoren geprägt, was es für weibliche Autoren, wie zum Beispiel Marianne Ehrmann oder Sophie La Roche, nicht leicht machte in diesem Bereich Fuß zu fassen (3). In „Nina's Briefe an ihren Geliebten“, aber auch in Sophie La Roches „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“, wird dieser Aspekt deutlich: In beiden Romanen wird ausdrücklich ein Mann als Herausgeber der Briefe beziehungsweise des Romans genannt. Beide Herausgeber beschreiben in ihrem Roman, dass, im Fall La Roche, ihnen der Roman von einer Freundin zugekommen ist oder, im Fall Ehrmann, es die Briefe der eigenen Frau seien. In diesem Punkt kann auch der Aspekt der weiblichen Autor- und der männlichen Herausgeberschaft in Betracht gezogen werden (4). Die Rolle der Männer, wie zum Beispiel in Form von Herausgebern oder Verlegern, war zu dieser Zeit nicht zu unterschätzen. Zwischen Frauen und Männern bestand ein hohes Ungleichgewicht im Bereich Bildung und Arbeitsbedingungen (5). Da Frauen unterstellt wurde, nicht in der Lage zu sein, ‚ernsthafte‘ Literatur zu verfassen, hatte diese Tatsache einen großen Einfluss auf die Annahme von Werken weiblicher Autoren. Männliche Herausgeber wurden oftmals von weiblichen Autoren verwendet, um dem Werk eine gewisse Authentizität und der Frau wieder einen passiven Part zu verleihen. Hinzu kam, dass die Frau natürlich auch von dem bereits existierenden Bekanntheitsgrad profitieren konnte. Vermutlich wären die „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“ oder auch „Nina’s Briefe an ihren Geliebten“ niemals so bekannt geworden, wären sie zu dieser Zeit von Herausgeberinnen veröffentlicht worden. Somit war, trotz der fortschreitenden Emanzipation, ein Mann als Vermittler zwischen Autorin und der Leserschaft durchaus notwendig.


Ausgaben[Bearbeiten]

Ehrmann, Marianne: Nina's Briefe an ihren Geliebten, [o. O. u. V.], 1788.

Ehrmann, Marianne: Nina's Briefe an ihren Geliebten: Von der Verfasserin der Geschichte Amaliens. Zenodot, Berlin 2007.

Ehrmann, Marianne: Nina's Briefe an ihren Geliebten, Berlin 2015.


Literatur[Bearbeiten]

Brandes, Helga: Die Zeitschrift »Pomona für Teutschlands Töchter« im publizistischen Kontext des 18. Jahrhunderts. Weimar: VDG 2007

Kant, Immanuel: Beobachtung über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. Dritter Abschnitt. Von dem Unterschiede des Erhabenen und Schönen in dem Gegenverhältnis beider Geschlechter, 1764

Ritter, Heidi: Eine Frau entwirft das Bild einer Frau. Sophie La Roche und ihr Roman »Geschichte des Fräuleins von Sternheim«. „Wen kümmert's, wer spricht“. Böhlau Verlag. Köln und Wien, 1991

Schwarz, Gisela: Literarisches Leben und Sozialstrukturen um 1800: zur Situation von Schriftstellerinnen am Beispiel von Sophie Brentano-Mereau geb. Schubart. P. Lang, 1991


Einzelnachweise[Bearbeiten]

(1) Der Roman wird im fortlaufenden Text unter der Seitenzahl zitiert nach: Ehrmann, Marianne: Nina's Briefe an ihren Geliebten. Berlin (2015)

(2) Kant, S. 8

(3) Ritter, S. 167

(4) Vgl. Schwarz, Brandes

(5) Schwarz, S. 53


Lisa Müller, Universität Paderborn