Geschichte des Fräuleins von Sternheim

Aus briefromane
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Der Briefroman mit dem Titel Geschichte des Fräuleins von Sternheim wurde 1771 von Christoph Martin Wieland veröffentlicht. Der Briefroman trägt den Untertitel "Von einer Freundin derselben aus Original-Papieren und andern zuverläßigen Quellen gezogen". Er gilt als einer der ersten deutschen Romane mit weiblicher Autorschaft und wurde von Sophie La Roche verfasst. Der Roman gliedert sich in zwei Teile, die nacheinander veröffentlicht wurden. Bei dem Roman handelt es sich um einen Briefwechsel zwischen verschiedenen Charakteren des Briefromans, besonders häufig finden sich jedoch Briefe der Protagonistin Sophie von Sternheim an ihre Freundin Emilia. (1)

Inhalt und Figurenkonstellation[Bearbeiten]

Der Roman beginnt mit einem Vorwort Wielands, der als Herausgeber vor ästhetischen Mängeln des Romans warnt, die er auf die weibliche Autorin zurückführt. Auch im weiteren Verlauf des Romans kommentiert Wieland die Geschichte in eingefügten Fußnoten. Der erste Teil des Romans behandelt die Erziehung und die Auseinandersetzung mit den höfischen Gegebenheiten der Protagonistin Sophie von Sternheim. Sophie von Sternheim ist die Tochter des Oberst von Sternheim, welcher bürgerlich geboren wurde und nur durch seinen Verdienst beim Militär in den Adelsstand erhoben wurde, und der Sophie von P.., einer englischstämmigen Adeligen. Die Verbindung der Eltern Sophies schien zunächst durch einen Ständekonflikt unmöglich, konnte aber durch die Verdienste Sternheims, „der schon als adelich anzusehen ist“ (30), doch vollzogen werden. Die junge Sophie von Sternheim erhält die „vortrefflichste Erziehung für ihren Geist und für ihr Herz.“ (48) Das Fräulein verliert ihre Mutter früh und muss im Alter von neunzehn Jahren auch den Verlust ihres Vaters hinnehmen. Nach dem Tod ihrer Eltern muss sich Sophie im Alter von neunzehn Jahren in die Obhut ihrer Tante Gräfin Löbau begeben, die Sophie in die höfische Gesellschaft einführt und darauf hofft, dass Sophie die neue Mätresse des Fürsten wird um den Prozess ihres Mannes zu begünstigen. Am Hof trifft Sophie, die durch ihre Mutter eine Affinität für alles Englische hat, auf die englischen Lords Seymour und Derby. Während sie Lord Seymour von Anfang an sympathisch findet, meidet sie Lord Derby zunächst. Sophie fühlt sich am Hof nicht wohl, da das „Hofleben für ihren Charakter nicht taugt; mein Geschmack, meine Neigungen gehen in allem davon ab. (75f.) Gräfin Löbau jedoch besteht darauf, dass Sophie den Hof kennenlernt, wenn der Fürst anwesend ist. Seymour empfindet derweil durch Sophies Schönheit und Bildung immer mehr Zuneigung ihr gegenüber: „Immer wird mir das Fräulein liebenswürdiger.“ (98) Bei einem Hoffest nimmt Seymour jedoch an, dass Sophie nun ein Verhältnis mit dem Fürsten unterhalten muss, als er „[…]ein Zeuge sein mußte, wie sie Ehre und Unschuld aufgab, und im Angesicht des Himmels und der Menschen, ein triumphierendes Aussehen dabei hatte.“ (137) Der zweite Teil des Romans handelt von Sophies Erkenntnis der Intrige durch ihre Tante und ihr Leben danach. Sophie erkennt, dass sie nun unfreiwillig als Mätresse des Fürsten gilt und beklagt: „denn wie konnte ich ohne den äußersten Unmut denken, daß mein Oncle, und meine Tante mich auf eine so niederträchtige Weise ihrem Eigennutze aufopferten, und Fallstricke für meine Ehre flechten.“ (200f.) In ihrer Verzweiflung heiratet sie Lord Derby, der zuvor um sie geworben hatte, und Sophie erhält durch seine Hand einen „angesehenen Stand“. (201) Lord Derby, der zunächst bezaubert von der Schönheit Sophies schien, wird seiner Ehe mit Sophie schnell überdrüssig und verlässt sie. Dies hatte er bereits von langer Hand geplant, denn später zeigt sich, dass die Hochzeit inszeniert war und es sich bei dem Priester lediglich um einen Bediensteten Derbys gehalten hatte. Derby vermutet außerdem, dass Sophie Seymour und nicht ihn liebt. dass die Hochzeit inszeniert war und es sich bei dem Priester lediglich um einen Bediensteten Derbys gehalten hatte. Sophie gründet aller Enttäuschung über Lord Derby zum Trotz eine Mädchenschule mit Gesindehaus und nennt sich von nun an Madame Leidens. Sie lernt Lady Summers kennen und beschließt mit ihr nach England zu gehen. Auf ihrem Landsitz arbeitet Sophie nun als Gesellschafterin und lernt dort Lord Rich kennen, der sich sogleich in sie verliebt. Sie beobachtet seine Zuneigung mit Sorge und stellt fest: „Aber ich kann nicht mehr lieben; ich kann mich nicht mehr verschenken; ja die zärtliche Achtung selbst, welche ich für den Lord Rich habe, empört sich wider diesen Gedanken; mein Schicksal hat mich durch die Hand der Bosheit in den Staub geworfen“ (277). Derweil hat Lord Derby die Nichte von Lady Summers geheiratet und lässt Sophie entführen, da er fürchtet, sie könne ihn auffliegen lassen. Sophie wird in das schottische Bleigebirge entführt, wo sie zunächst unglücklich über ihr Schicksal ist, aber nach und nach ihr „Gefühl wiederfindet.“ (288) Nach einiger Zeit wird sie von einem Bediensteten Lord Derbys besucht, der ihr vorschlägt, sich „zu dem Lord nach London zu begeben“ (301), dieser wolle dann seine Heirat mit Lady Summers Nichte auflösen. Sophie lehnt diese erneute Verbindung höflich ab und wird daraufhin von dem Bediensteten in ein Gewölbe gesperrt. Dort wird sie von Wirten gefunden und in Sicherheit gebracht. Währenddessen wird Lord Derby erzählt, dass Sophie nicht überlebt habe. Derby erkrankt schwer und berichtet Lord Seymour und Lord Rich, die sich als Brüder herausstellen, an seinem Sterbebett von seinem teuflischen Plan: „Mein Kerl, der Hund, wollte sie zwingen zurückzugehen – Er wußte, wie glücklich mich Gesellschaft gemacht hätte – er sperrete sie in ein altes verfallenes Gewölbe, worin sie zwölf Stunden lag, und – aus Kummer starb.“ (308f.) Daraufhin machen sich Seymour und Rich auf den Weg nach Schottland, um Sophies Leichnam nach Deutschland zu überführen. Dort stellen sie fest: „der Engel, Sternheim, lebt noch.“ (311) Lord Rich beschließt seine Gefühle gegenüber Sophie zurückzuhalten, damit sein Bruder Seymour glücklich wird: „Wie unermeßlich wäre meine Glückseligkeit gewesen! - Aber ich ersticke meine Wünsche auf ewig. Mein Bruder soll leben!“ (322) Lord Seymour und Sophie von Sternheim heiraten und bekommen einen gemeinsamen Sohn. Sophie von Sternheim, jetzt Lady Seymour, „nimmt von Zeit zu Zeit ein paar Töchter zu sich, und flößt durch Beispiel und liebreiches Bezeugen die Liebe der Tugend und schöne Kenntnisse in sie.“ (331)


Form des Romans[Bearbeiten]

Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim hält sich formal an die englischen Briefromane Richardsons. Der Roman gliedert sich in zwei Teile, die getrennt voneinander veröffentlicht wurden. Durch die Form des Briefromans gelingt es, den Leser an Empfindungen, Stimmungen und Gefühlserlebnisse teilhaben zu lassen und ihm einen Einblick in die Charaktere und Motivationen der handelnden Personen zu geben. Im Roman werden mithilfe der Briefe Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Dies ermöglicht dem Leser einen besseren Überblick über die Geschehnisse und lässt den Rezipienten die einzelnen Sichtweisen eines einzelnen Ereignisses selbständig zusammenführen. Im Gegensatz zu vielen anderen Briefromanen verzichtet La Roche auf die Antwortbriefe und reduziert somit Wiederholungen und den Umfang des Romans. (2)


Interpretationsaspekte[Bearbeiten]

Ein neues Frauenideal für die weibliche Leserschaft?

Mit dem Fräulein von Sternheim entwirft Sophie La Roche ein ganz neues Frauenbild, das von ihrer weiblichen Leserschaft dankend angenommen wird und Raum für eine identifikatorische Lektürehaltung gibt. So schrieb Caroline Flachsland in einem Brief an Herder: „Ich habe indeßen auch [die] Geschichte der Fräulein von Sternheim gelesen, mein ganzes Ideal von einem Frauenzimmer“! sanft, zärtlich, wohltätig, stolz und tugendhaft, und betrogen. Ich habe köstliche, herrliche Stunden beym Durchlesen gehabt. Ach, wie weit bin ich noch von meinem Ideal von mir selbst weg!“ (3)

Überschneidungen von Biografie und Fiktion

Nicht nur der gemeinsame Vorname von Verfasserin und Protagonistin, auch einige der geschilderten Situationen, deuten darauf hin, dass der Briefroman autobiografische Züge trägt. Sophie La Roche sagt selbst zum Roman: „und ich schuf den Plan zu Sophiens Geschichte. – Ihre Aeltern erhielten den Charakter der meinigen; ich benutzte Zufälle, die an einem benachbarten Hofe sich ereigneten, und verwebte sie in Sophiens Leben, welcher ich ganz natürlich meine Neigungen und Denkart schenkte“ (4) Und tatsächlich lassen sich im Roman Parallelen zum eigenen Lebensweg der Verfasserin finden, so führte auch Sophie La Roche ein für die damalige Zeit recht untypisches Leben, welches in Teilen gegen das damals übliche Frauenbild verstieß. So führte auch La Roche zunächst eine Vernunftsehe und entschied sich erst später zu einer Beziehung aus Liebe. Sowohl La Roche als auch die Hauptfigur des Romans verfügen über ein Elternhaus, welches viel Wert auf Bildung legt.

Das Frauenbild im 18. Jahrhundert

Das Frauenbild des 18. Jahrhunderts wurde von verschiedensten Philosophen und Erziehern für die Nachwelt festgehalten. Schopenhauer hält fest: „Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, daß das Weib weder zu großen geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist.“ (5) La Roches Roman entwirft zu den herrschenden Vorstellungen des Frauenbildes einen Gegenentwurf der gebildeten, unabhängigen Protagonistin.

Wieland als Herausgeber

Wieland gibt als Herausgeber erstmals einer weiblichen Autorin die Möglichkeit ihr Werk zu veröffentlichen. Jedoch veröffentlicht Wieland den Roman nicht lediglich, sondern verfasst ein Vorwort und greift an einigen Stellen durch Fußnoten und Anmerkungen in den Roman ein. Von den zeitgenössischen Rezipienten wird sogar angenommen, dass Wieland den Roman selbst verfasst habe. Wieland versucht durch die vielen Anmerkungen und das lange Vorwort die Mängel des Romans auszugleichen. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass die Veröffentlichung des Romans von der Autorin nicht beabsichtigt sei. Ein Veröffentlichungswunsch durch eine Frau hätte dem damaligen Frauenbild der zurückhaltenden Frau nicht entsprochen.


Rezeption[Bearbeiten]

Das zeitgenössische Publikum nimmt den Roman mit Begeisterung an. Besonders großen Anklang fand der Briefroman beim weiblichen Publikum und erhielt unter anderem positive Rezensionen von Caroline Flachsland, der Ehefrau von Johann Gottfried von Herder: „Ich habe indeßen auch [die] Geschichte der Fräulein von Sternheim gelesen, mein ganzes Ideal von einem Frauenzimmer“! sanft, zärtlich, wohltätig, stolz und tugendhaft, und betrogen. Ich habe köstliche, herrliche Stunden beym Durchlesen gehabt.“ (6) Aber auch Herder selbst lobt den Roman, der das schönste Stück sei und welcher auf ihn den meisten Eindruck mache. (7) Neben Herder fanden auch andere Stürmer und Dränger nur positive Worte für den Briefroman. So lobten Merck, Goethe und Lenz die Sentiments der Geschichte. (8) Negative Rezensionen finden sich unter anderem kaum, da Wielands entschuldigendes Vorwort und die Anmerkungen Lesern bereits vor der Rezeption des Romans die Basis für Kritik nahm. Lenz jedoch kritisierte eben diese Anmerkungen stark: „die dummen Noten, die mich allemal bey den seligsten Stellen in meinem Gefühle unterbrachen, gerad als wenn einem kalt Wasser aufgeschüttet wird“ (9)


Ausgaben[Bearbeiten]

1. Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Von einer Freundin derselben aus Original-Papieren und andern zuverläßigen Quellen gezogen. Hg. v. Christoph Martin Wieland. Weidmanns Erben und Reich: Leipzig 1771

2. Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Von einer Freundin derselben aus Original-Papieren und andern zuverläßigen Quellen gezogen. Hg. v. Christoph Martin Wieland. Deutscher Taschenbuch Verlag: München 2007

3. Sophie von La Roche: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Hg. v. Barbara Becker-Cantarino. Reclam-Verlag: Stuttgart 2006


Literatur[Bearbeiten]

1. Heidenreich, Bernd: Sophie von La Roche – eine Werkbiographie. In: Frankfurter Hochschulschriften zur Sprachtheorie und Literaturästhetik. Hg. v. Dieter Klimpel. Frankfurt: Peter Lang 1986

2. Wiede-Behrendt, Ingrid: Lehrerin des Schönen, Wahren, Guten. Literatur und Frauenbildung im ausgehenden 18. Jahrhundert am Beispiel Sophie von La Roche. Frankfurt am Main: Peter Lang 1987

3. Winkle, Sally A.: Woman as Bourgeois Ideal. A Study of Sophie von La Roche’s Geschichte des Fräuleins von Sternheim and Goethe’s Werther. New York: Peter Lang 1988

4. Schopenhauer, Arthur: Parerga und Paralipomena: Kleine Philosophische Schriften. Zweiter Band. Zweiter Teilband. Zürich: Diogenes Verlag 1977


Weblinks[Bearbeiten]

1. Maurer, Doris: Porträt: Keiner konnte sich der Tränen enthalten, in: Die Zeit, 08.02.2007 (http://www.zeit.de/2007/07/A-La-Roche)

Einzelnachweise[Bearbeiten]

(1) Der Roman wird zitiert nach: Sophie von La Roche: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Hg. v. Barbara Becker-Cantarino. Reclam-Verlag: Stuttgart 200

(2) Vgl. Heidenreich, 14f.

(3) La Roche, 347

(4) La Roche, 346

(5) Schopenhauer, 668

(6) La Roche, 347

(7) Vgl. La Roche, 347

(8) Vgl. Heidenreich, 64

(9) Vgl. ebd., 65


Julia Bitter, Universität Paderborn